Erdgas ist für Russland ein enorm wichtiges Exportgut. Warum das Land beim Gas auf den Markt im Westen angewiesen ist, erklärt die Ökonomin Franziska Holz.
Könnte Russland kein Erdgas exportieren, würde sich sein Bruttoinlandsprodukt unmittelbar um 2,9 Prozent verringern (siehe die Grafik unten). Gut 55 Prozent des nach Deutschland importierten Erdgases kamen 2020 aus Russland. Zu den Einnahmeverlusten für den überwiegend staatlichen Konzern Gazprom kämen noch Steuerverluste hinzu, sagt Franziska Holz vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung.
Ein Markt ohne richtige Alternativen
Das Erdgas gelangt über Pipelines nach Deutschland und auf den westlichen Markt. Wegen dieser Transportinfrastruktur kann es auch nicht auf anderen Märkten verkauft werden, so die Expertin. Die Folge: "Das Gas würde dort bleiben, oder es müsste schnell aufgehört werden, zu fördern."
"Das würde kurzfristig starke Einnahmeverluste für Gazprom und Verluste auf der Seite der Steuereinnahmen für den russischen Staat bedeuten."
Die Gasfelder können nur mittelfristig wieder zum alten Produktionsniveau zurückkehren, sagt Franziska Holz. Das beliebte Bild vom leicht verschließbaren russischen Gashahns ist also aus technischen Gründen irreführend.
"Es würde bedeuten, dass man die Produktion nicht innerhalb weniger Tage wieder anwerfen kann. Es wäre eine mittelfristige Einschränkung."
Zwar sei die Anbindung westlicher Erdgasfelder in Sibirien an neue Pipelines und andere Märkte in Planung. Mit einer Fertigstellung vor 2030 sei allerdings nicht zu rechnen.
"Es gibt einfach keine Pipelines aus den westsibirischen Feldern, die uns beliefern, nach China oder nach Indien."
Auch der rasche Aufbau einer Infrastruktur zur Verflüssigung des Erdgases sei von Gazprom nicht zu erwarten. Eine andere Firma habe zwar solche Anlagen in Betrieb genommen, auch in Westsibirien. Die Produktion sei aber mengenmäßig vergleichsweise unerheblich.
Mengenmäßig ist Flüssiggas keine Alternative
Franziska Holz sagt: "Wir reden von 15 bis 16 Milliarden Kubikmetern bei einer sehr großen LNG-Anlage." Sie weist zum Vergleich auf die Pipeline Nord Stream 1 hin. Diese transportiert jährlich knapp 60 Milliarden Kubikmeter Erdgas.
"LNG wäre eine Alternative. Aber auch das hat Gazprom in den letzten Jahrzehnten nicht hingekriegt."
Franziska Holz weist darauf hin, dass Gazprom in den Gebieten der Gasföderung im Norden Sibiriens auch einen großen Teil der öffentlichen Infrastruktur und Versorgung übernimmt. Das umfasse beispielsweise Krankenhäuser, Kindergärten, Bibliotheken und Kinos. Ob der politische Einfluss dieser Regionen allerdings groß genug sei, um für eine Meinungsänderung der gesamten russischen Bevölkerung zu sorgen, sei fraglich, sagt Franziska Holz.
Unser Bild oben zeigt eine Öl- und Gasförderungsanlage von Gazprom Neft in der Region Jamal-Nenzen im Nord-Westen Sibiriens.