Online-Shopping auf Raten kann zur Schuldenfalle werden. Ollis Schulden sind ihm über den Kopf gewachsen. Privatinsolvenz war für ihn ein Teil der Lösung. Warum das gerade jungen Leuten passiert, erklärt Wirtschaftspsychologin Julia Pitters.

Bei Olli ging das mit Schulden so schleichend los, als er gerade seine erste Ausbildung angefangen hatte. Zwar hat er alte Schulden immer wieder beglichen, gleichzeitig aber neue gemacht, um einfach laufende Kosten wie die Miete bezahlen zu können. Dann fiel er in ein Loch, seine damalige Freundin machte Schluss, und Olli hat sich anderthalb Jahre lang um nichts gekümmert. Am Ende stand er vor einem Schuldenberg: 35.000 Euro.

Mit verantwortlich für seine Schulden waren aber auch damalige Freunde, die vorgaben, ihm helfen zu wollen und sich beispielsweise um den alten Mietvertrag zu kümmern. Stattdessen wohnten sie auf Ollis Kosten in seiner alten Wohnung und häuften über 10.000 Euro Mietschulden an, erzählt er.

Wie raus aus der Schuldenspirale?

Um aus dieser Schuldenspirale herauszukommen, hat Olli Privatinsolvenz angemeldet. Er darf von seinem Gehalt einen sogenannten Pfändungsfreibetrag* behalten, um genug zum Leben zu haben. Der Rest geht an seine Gläubiger, so trägt er Stück für Stück seine Schulden ab.

Für Olli gilt dabei noch das alte Recht für Privatinsolvenz: Er darf sechs Jahre lang keine neuen Schulden machen. 2020 wurde das Gesetz geändert, seitdem sind es drei Jahre, in denen sich Schuldner oder Schuldnerinnen 'wohlverhalten' müssen, wie es heißt.

Der heute 29-Jährige hat inzwischen fünf Jahre und einen Monat der Privatinsolvenz hinter sich gebracht. Eine schwere Zeit, in der Olli nichts ansparen kann.

"Das ist gut so, wie es ist, denn ich muss doch Verantwortung dafür übernehmen, was passiert ist. Ich schulde den Gläubigern ja Geld, das ist Fakt."
Olli häufte 35.000 Euro Schulden an

Für Olli ist die Privatinsolvenz ein "guter Fahrplan", um aus der Schuldenspirale herauszukommen. In dieser Zeit habe er ein neues Verhältnis zu Geld gewonnen: "Für mich ist das eine Bereicherung, auf jeden Fall auch für die Zeit nach der Insolvenz." Gleichzeitig schränken ihn die Vorgaben auch ein: Zum Beispiel kann Olli keinen Handy-Vertrag abschließen, weil die Bonitätsprüfung bei ihm negativ ausfällt.

Auch einen neuen Mietvertrag abzuschließen, ist so gut wie aussichtslos. "Das ist absolut nervig, weil eigentlich ist die Privatinsolvenz dafür gedacht, dass so Leute wie ich wieder zurückfinden in ein Leben ohne Schulden", sagt Olli. Er ist in dieser Situation auf andere Menschen angewiesen wie auf seine Mutter, die dann den Mietvertrag unterschrieben hat.

Fehlende Finanzbildung

Heute sieht Olli die Ursache für seine Verschuldung darin, dass er nie gelernt hat, ein Verhältnis zu Geld zu entwickeln. Weder seine Mutter habe ihm das beigebracht, noch sei das jemals Thema in der Schule gewesen. Anfangs sei es viel Unwissen in Bezug auf Geldgeschäfte gewesen, später hätten sich dann depressive Phase aufgrund der Überforderung mit immer größer werdenden Schulden angeschlossen.

Trend zu Schulden bei Gen Z

Wirtschaftspsychologin Julia Pitters hat zusammen mit dem Inkassobüro Lowell eine Studie zum Schuldenverhalten der Gen Z durchgeführt. Bei den 18- bis 26-Jährigen ist demnach ein Viertel bereit, Konsumkredite aufzunehmen – also Kleinstkredite, die Menschen aufnehmen, um zum Beispiel den Urlaub zu bezahle.

Es geht dabei also vor allem um Dinge, die schnell verpuffen und die keinen Gegenwert haben, sagt Julia Pitters. Und in der Gesamtbevölkerung sei es im Vergleich zur Gen Z nur ein Fünftel, die dazu bereit sind.

Ein Grund dafür könnte sein, so vermutet die Wirtschaftspsychologin, dass diese Generation eine fatalistische Einstellung gegenüber ihrer Zukunft hat – zum Beispiel keine große Rente erwartet.

Innerhalb der Gruppe gebe es aber auch eine große Ungleichheit zwischen denen, die erben werden und so genug zum Leben haben, und jenen, die nichts erben. Letztere wären eher bereit, dann einfach auf Pump zu leben. Gerade für junge Menschen kommen erschwerend die "Buy now pay later"-Angebote von Klarna, Paypal oder anderen Online-Bezahldiensten hinzu, sagt Julia Pitters.

"Es ist eine Zusatzverlockung, die Gift sein kann."
Julia Pitters, Wirtschaftspsychologin zum Prinzip "Buy now, pay later"

Julia Pitters spricht sogar von einem Suchtverhalten, wenn Menschen gar nicht mehr aus der Schuldenspirale herauskommen und immer weiter Schulden machen. "Dann befindet man sich in einem Teufelskreis", sagt die Wirtschaftspsychologin. Besorgniserregend findet sie, dass es eine Art Trend gibt, Schulden zu machen.

"Auf Tiktok gibt es sogar schon Challenges, bei denen sich die Jugendlichen überbieten, wer die meisten Schulden gemacht hat", sagt Julia Pitters. Wer sich davon hineinziehen lasse, bemerke vielleicht gar nicht, schon in eine Falle getappt zu sein.

Sie kann die Erfahrung von Olli nur bestätigen, dass es an Finanzbildung fehlt und dieser Mangel seit Jahren kritisiert wird. Wenn weder in der Schule noch zu Hause über Finanzen gesprochen wird, dann erleben viele junge Menschen die ersten Schritte in die Unabhängigkeit mit eigener Finanzplanung wie einen Sprung ins kalte Wasser, sagt die Wirtschaftspsychologin.

"Wenn ich mich nicht auskenne, bin ich noch gefährdeter, auf Angebote hereinzufallen."
Julia Pitters, Wirtschaftspsychologin

Viele vermeiden das Thema Finanzen auch, weil es anstrengend und kompliziert wirkt. Zu spät ist es für die Finanzbildung aber nie! Manchmal gibt es im Freundeskreis jemanden, der sich auskennt oder Tipps hat, sagt Julia Pitters. Und es gibt unabhängige Finanzberatung, die beim Umgang mit Geld, Krediten, Sparen und Anlegen helfen kann.

Hilfe bei Überschuldung gibt es auch bei der Verbraucherzentrale, die kostenlos berät. Vorsicht ist aber angesagt bei Schuldenberatern, die Geld wollen. Julia Pitters rät zum Anmelden der Privatinsolvenz nur, wenn keine Aussicht mehr darauf besteht, das Konto ausgleichen zu können.

*Ergänzung: Im Gespräch mit Olli und Julia Pitters erwähnen wir eine Summe von 1330 Euro, die Olli bisher von seinem Nettoeinkommen behalten durfte. Diese Summe hat sich allerdings seit dem 1. Juli 2023 erhöht. Wenn ihr wissen wollt, wie sich das zu pfändende Nettoeinkommen mittlerweile aufteilt, könnt ihr hier nachsehen.

Meldet euch!

Ihr könnt das Team von Ab 21 über WhatsApp erreichen.

Uns interessiert: Was beschäftigt euch? Habt ihr ein Thema, über das wir unbedingt in der Sendung und im Podcast sprechen sollen?

Schickt uns eine Sprachnachricht oder schreibt uns per 0160-91360852 oder an ab21.dlfnova@deutschlandradio.de.

Wichtig:
Wenn ihr diese Nummer speichert und uns eine Nachricht schickt, akzeptiert ihr unsere Regeln zum Datenschutz und bei WhatsApp die Datenschutzrichtlinien von WhatsApp.

Shownotes
Schulden
Wenn wir die Kontrolle über unser Geld verlieren
vom 04. Oktober 2023
Moderator: 
Utz Dräger
Gesprächspartner: 
Olli, 29, bekommt mit Privatinsolvenz seine Schulden in den Griff
Gesprächspartnerin: 
Julia Pitters, Wirtschaftspsychologin
  • Olli (29) ist seit fünf Jahren privatinsolvent
  • Wirtschaftspsychologin Julia Pitters über Schulden in Gen Z