• Deutschlandfunk App
  • Spotify
  • Apple Podcasts
  • Abonnieren

Obwohl Anna schon lange meditiert, kam für sie ein Schweige-Retreat nie infrage. Nun hat sie es doch gewagt. Warum tagelanges Schweigen nicht für jede und jeden das Richtige ist, regelmäßige Auszeiten aber der Psyche gut tun, erklärt Stressmediziner Jan Kalbitzer.

Richtig still ist es in unserem Alltag eigentlich nie. Gefühlt quatscht uns immer jemand voll, auf der Straße rauscht der Verkehr vorbei und wenn wir nicht ohnehin Podcasts oder Musik auf dem Handy hören, klingelt oder vibriert es vor sich hin.

Wird es still, werden Gedanken laut

Anna wollte von all dem weg und machte einen radikalen Cut: Sie entschied sich, ein zehntägiges Schweige-Retreat zu versuchen. Zwei Mal täglich gab es dort Vorträge oder Yoga, ansonsten war der Tag von morgens bis abends geprägt von Stille, Schweigen und Meditation. Kein Handy, keine Bücher, nicht einmal der Augenkontakt zu anderen Teilnehmer*innen war erlaubt.

"Wir sind in so einem Trubel, dass wir manchmal vergessen, uns selbst zuzuhören."
Anna, verbrachte zehn Tage im Schweige-Retreat

Statt innerer Ruhe gab es aber erst Mal das Gegenteil: Anna bekam zuerst und vor allem das, was sie ein "Monkey Mind" nennt - nicht enden wollende Gedankenstrudel. Dazu hatte sie auch noch Rückenschmerzen vom vielen Sitzen. Teil der Herausforderung, der sie sich stellte, war es, diesen unangenehmen Erfahrungen nicht auszuweichen oder den Aufenthalt abzubrechen, sondern zu lernen, damit zu sein.

Die zehn Tage waren für Anna intensiv und zuweilen hart. Für sie war das eine "unglaublich wichtige Erfahrung", um sich mit ihr selbst und ihren Emotionen auseinanderzusetzen.

"Irgendwann habe ich die Leere hinter den Gedanken wahrgenommen und gemerkt, dass sich dahinter eine tiefe innere Ruhe befindet."
Anna, verbrachte zehn Tage im Schweige-Retreat

Jan Kalbitzer, Leiter der Stressmedizin in den Oberberg Kliniken und Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapeut, findet, dass ein Aufenthalt in einem Schweige-Retreat oder in einem Kloster, wie Anna es getan hat, eine spannende spirituelle Erfahrung sein kann. Allerdings ist er nicht überzeugt davon, dass es eine Lösung für die Überforderung durch Reize und Konflikte darstellt, unter der viele Menschen leiden.

"Stille ist etwas, das wir uns immer wieder wünschen. Aber den meisten Menschen ist es schnell zu viel, wenn es plötzlich still wird."
Jan Kalbitzer, Leiter der Stressmedizin in den Oberberg Kliniken

Der Facharzt empfiehlt Menschen, die sich nach Stille sehnen, sich im Alltag immer wieder Ruheinseln zu schaffen. Außerdem sei es sinnvoll, sich Zeit für die eigenen Gefühle zu nehmen. "Das kann erst mal unangenehm sein, weil wir im Stress vor unangenehmen Gefühlen wegrennen, sie nicht spüren wollen", sagt er. Seien wir erst einmal in der Stille und Ruhe angekommen, überwältigten sie uns plötzlich.

"Ein Anfang ist, das Smartphone nicht auf den Spaziergang mitzunehmen oder auch mal ohne Handy aufs Klo zu gehen."
Jan Kalbitzer, Leiter der Stressmedizin in den Oberberg Kliniken

Oft glauben wir, gibt Jan Kalbitzer zu bedenken, dass wir Ruhe und Stille wollen – eigentlich stecke aber etwas anderes dahinter. Das merken wir, wenn wir mit Menschen zusammen sind, bei denen wir uns nicht verstellen oder ein Gespräch am Laufen halten müssen.

Geborgenheit: Vertraute Menschen als Ort der Ruhe

Mit diesen ganz besonderen Menschen können wir schweigen, von ihnen fühlen wir uns anerkannt, mit ihnen können wir sein. Und das sind Momente, sagt der Psychotherapeut, in denen oft diese Ruhe eintritt, nach der wir uns sehnen.

Anna hat nach ihren intensiven zehn Tagen eine ähnliche Erfahrung gemacht. Die extremste Erfahrung sei nicht diejenige gewesen, endlich wieder mit einer anderen Person sprechen zu dürfen. Viel krasser sei es gewesen, einer Freundin wieder in die Augen zu schauen und dadurch die Nähe und Verbundenheit zu spüren.

Meldet euch!

Ihr könnt das Team von Facts & Feelings über WhatsApp erreichen.

Uns interessiert: Was beschäftigt euch? Habt ihr ein Thema, über das wir unbedingt in der Sendung und im Podcast sprechen sollen?

Schickt uns eine Sprachnachricht oder schreibt uns per 0160-91360852 oder an factsundfeelings@deutschlandradio.de.

Wichtig:
Wenn ihr diese Nummer speichert und uns eine Nachricht schickt, akzeptiert ihr unsere Regeln zum Datenschutz und bei WhatsApp die Datenschutzrichtlinien von WhatsApp.

Shownotes
Schweigen
Wenn wir uns im Alltag mehr Ruhe wünschen
vom 10. November 2023
Moderation: 
Ivy Nortey
Gesprächspartnerin: 
Anna, hat zehn Tage im Schweige-Retreat verbracht
Gesprächspartner: 
Jan Kalbitzer, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapeut sowie Leiter der Stressmedizin in den Oberberg Kliniken
  • Anna berichtet von ihren Erfahrungen im Schweige-Retreat
  • Jan Kalbitzer, Leiter der Stressmedizin in den Oberberg Kliniken, rät zu Auszeiten im Alltag