Wenn Lina Rixgens auf hoher See unterwegs ist, dann kann sie von acht Stunden Schlaf im warmen Bett nur träumen. Lina muss mit kleinen Nickerchen auskommen, teils tage- oder wochenlang. Dabei hat sie sogar schon halluziniert. Was passiert dabei im Körper?
Lina Rixgens ist Offshore-Seglerin. Das heißt, sie war schon viele Stunden, teilweise mehrere Tage am Stück, bei Regatten nur auf dem Segelboot. Als erste deutsche Frau hat sie beispielsweise die Mini-Transat erfolgreich beendet. Das ist eine Einhand-Transatlantikregatta von Douarnenez in der Bretagne nach Pointe-à-Pitre auf Guadeloupe. Lina war dafür 18 Tage, 4 Stunden und 7 Minuten unterwegs. Und dort hatte sie, wie sie selbst sagt, eine Grenzerfahrung – starke Halluzinationen.
Lina Rixgens: "Was ich schon häufiger hatte, sind auditive Halluzinationen. Dass sich die Geräusche, die man normalerweise an Bord hat, verwandeln. Dass dann zum Beispiel das Rauschen des Wassers zur Melodie wird oder dass man Stimmen hört oder Songs, die in Endlosschleife laufen. Das ist aber eigentlich immer so das Warnsignal, dass ich jetzt wirklich schlafen gehen muss."
"Was ich schon häufiger hatte, sind auditive Halluzinationen. Dass sich die Geräusche, die man normalerweise an Bord hat, verwandeln. Dass dann zum Beispiel das Rauschen des Wassers zur Melodie wird."
In diesem Moment konnte Lina aber nicht schlafen. Ihr Autopilot auf dem Segelboot war ausgefallen und sie war mitten in der Biskaya, einem Seegebiet entlang der Nordküste Spanien und der Westküste Frankreichs, das für starke Stürme und extremen Seegang bekannt ist. 48 Stunden lang musste sie wach bleiben, um sicher durch den Atlantik zu navigieren.
48 Stunden wach
Und dann ging es richtig los, erzählt Lina: "Es ist dann weitergegangen, dass es zu visuellen Halluzinationen kam. Dass ich echt Leute gesehen habe, die mit auf dem Boot saßen. Die wollten, dass ich anhalte. Zwischendurch dachte ich, ich bin auf einem See mit Schilf und da ist ein Steg in der Nähe. Und ich habe sogar mein Vorsegel runtergenommen, weil ich dachte, ich lege jetzt gleich an diesem Steg an."
"In visuellen Halluzinationen habe ich Leute gesehen, die auf dem Boot saßen. Die wollten, dass ich anhalte. Ich dachte auch, ich bin auf einem See mit Schilf und da ist ein Steg in der Nähe."
Angst hatte Lina nicht. Trotzdem möchte sie solche Erfahrungen natürlich vermeiden. Schlafforscherin Dr. Christine Blume beschreibt, dass Halluzinationen bei extremem Schlafmangel auch in Studien im Schlaflabor auftreten. Halten die Forschenden die Probandinnen und Probanden 48 Stunden oder länger wach, dann erleben sie erst visuelle Halluzinationen und dann akustische.
"Aber auch sowas wie Verlust der zeitlichen Orientierung oder Depersonalisierung, also dass man das Gefühl hat, man ist gar nicht mehr so ganz im eigenen Körper. Man sagt, das fängt so ab 24 Stunden an."
Schlafforscherin Dr. Christine Blume sagt, dass es ab 48 Stunden Schlafmangel Denkstörungen gibt – und ab 72 Stunden Wahnvorstellungen. Lina hat sich in dieser Situation ruhig verhalten. Sie ist zu ihrem GPS gegangen, hat auf das Display geschaut und sich gut zugeredet: "Ok, du möchtest zu den Kanaren. Du bist hier auf dem Atlantik. Das kann alles nicht stimmen. Du fährst jetzt einfach zu diesem Wegpunkt, den du dir gesetzt hast, Richtung Kanaren und dann wird das schon irgendwie gehen."
Denkstörungen und Wahnvorstellungen
Als Lina die extremen Bedingungen überstanden hatte und sich hinlegen konnte, sind die Halluzinationen auch schnell wieder weggegangen. Der Körper kann recht schnell wieder in den Normalzustand übergehen, beschreibt Schlafforscherin Christine Blume, auch wenn es keine Formel gibt, wie viele Stunden Schlaf benötigt werden, damit die Halluzinationen aufhören.
"Es ist ganz sicher individuell verschieden, aber eine Nacht ist sicher vollkommen ausreichend. In Studien lässt man die Proband*innen eine Nacht schlafen oder etwas länger, 10, 11, 12 Stunden, und dann ist das wieder ok."
In dieser Folge "Über Schlafen" erzählt Offshore-Seglerin Lina Rixgens auch, wie es für sie ist, auf den Regatten nie länger als 20 Minuten am Stück zu schlafen und Schlafforscherin Dr. Christine Blume ordnet ein, was das mit dem Körper macht.
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