Ganz klar, der Sehnsuchtsort von Badia liegt in Japan. Anna wurde in der Ukraine geboren. Die Stadt Mariupol ist ihr Sehnsuchtsort – ein Ort, der zu 85 Prozent nicht mehr existiert.
Einige von uns haben wahrscheinlich diesen einen Ort, an den wir uns gerne zurückträumen, der uns ein wohliges Gefühl gibt und an den wir irgendwann noch mal zurückkehren möchten. Bei Badia ist der Ort sogar ein ganzes Land: Japan.
Endlich Japan und gleich zu Tränen gerührt
Badias Interesse für Japan wurde in mit Mangas geweckt. Die Zeichnungen der Städte und Landschaften, die so anders aussehen als bei uns, habe sie total reingezogen, erzählt sie. Später kam dann noch eine Faszination für den Schintoismus dazu – eine in Japan verbreitete, sehr naturverbundene Religion.
"Auf der Autofahrt hin zu diesem Dorf musste ich schon direkt heulen, weil ich so berührt davon war, dass die Landschaft wirklich so ist, wie ich es mir erträumt habe."
Ein paar Jahre später war es dann endlich so weit: Badia reiste nach Japan und verbrachte einen Monat in einem ganz kleinen Dorf in der Hiroshima-Präfektur. Dort versuchte sie, sich in das Dorfleben einzugliedern. Schon auf der Hinfahrt habe sie vor Berührung geweint, weil die Landschaft wirklich so ausgesehen habe, wie in ihren Träumen, sagt sie.
Während ihrer Reise war Badia auch in Kyoto, in Tokio und hat bei Nagano in einem Tempel auf einem Berg mitgearbeitet, meditiert und spirituelle Erfahrungen gesammelt.
In Japan gebe es generell sehr wenig Ausländer, sagt sie. Anfangs sei sie aufgefallen wie ein bunter Hund. Sie sei mit manchen Menschen aber gut in Kontakt gekommen, erzählt Badia. Gleich zu Anfang, in dem abgelegenen Dorf, habe sie eine Freundin gefunden und eine tiefe Verbundenheit aufbauen können.
Höflichkeit und ein respektvoller Umgang, der beeindruckt
Besonders positiv in Erinnerung ist Badia, wie höflich, respektvoll und achtsam die Menschen im Umgang miteinander seien. Ein vergessener Rucksack mit Portemonnaie im Park würde wahrscheinlich auch noch Stunden später dort liegen, sagt sie. Alles gehe sehr geordnet und geregelt zu, was es ziemlich entspannt mache.
"Diese wirklich krasse Höflichkeit also. Die Menschen sind unglaublich respektvoll, unglaublich vorsichtig mit ihren Mitmenschen und achten aufeinander."
Doch bei aller Schwärmerei gebe es natürlich auch Kehrseiten. Keine Gesellschaft sei perfekt. Aus ihrer Sicht würden sich sehr viele Japaner scheuen, sie selbst zu sein. Nicht anecken, nicht auffallen – Japan sei das Gegenteil einer individualistischen Gesellschaft, wie wir sie in Europa kennen, meint Badia.
Ob sie sich vorstellen kann, länger in Japan zu leben? Momentan eher nicht, "aber ich würde niemals nie sagen und das Land immer wieder sehr gerne besuchen", sagt sie.
Mariupol - ein Sehnsuchtort in Trümmern
Anna ist Filmemacherin und Journalistin und in der ukrainischen Stadt Mariupol geboren. Dort hat sie gelebt, bis sie fünf Jahre alt war. Dann ist sie nach Deutschland gezogen. Ihre Geburtsstadt, so wie Anna sie in Erinnerung hat, existiert heute so nicht mehr. Nach dem heftigen Beschuss und der Besetzung durch Russlands Armee liegt die Stadt nahezu in Trümmern. 87.000 Menschen seien hier gestorben und damit jeder fünfte Mensch, erzählt Anna.
"Ich habe mich viel intensiver mit Mariupol auseinandergesetzt, weil dieses Jahr jeder fünfte Mensch gestorben ist. Über 87.000. Menschen sind hier gestorben."
Anna hat schon als Kind immer eine Sehnsucht nach Mariupol verspürt, wie sie erzählt. Mit dem Krieg habe sie sich noch viel intensiver mit der Stadt auseinandergesetzt und versucht, Mariupol als Ort noch mehr zu begreifen.
Nach Kriegsbeginn hat Anna für die Wochenzeitung "Die Zeit" im Investigativ-Ressort gearbeitet. Zu dem Zeitpunkt war nicht klar, ob ihre Angehörigen in Mariupol noch am Leben sind, da es keinen Kontakt gab, berichtet sie. Im Zug ihrer journalistischen Arbeit hat sich Anna auch mit der örtlichen Umgebung beschäftigt – Orte, von denen sie nicht wusste, wie lange sie noch auf der Landkarte zu finden seien. Das sei eine sehr intensive Erfahrung gewesen.
Erinnerungen an Oma, Familienfeste, Schaschlik und große Trauer
Mariupol ist für Anna mit vielen Erinnerungen verknüpft: mit Familienfesten im Garten, Schaschlik grillen, Schwimmen im Fluss Kalmius,
mit der Buslinie 111, mit der sie und ihre Oma in den Sommerferien ans
Asowsche Meer gefahren sind und mehr. Denn immer wieder hat sie die Stadt besucht. Das letzte Malist Anna im September 2021 zum Stadtfest in Mariupol gewesen und habe sich unbewusst verabschiedet, sagt sie.
"All unsere Familienalben sind verloren und die Gemälde meiner Oma. Unvorstellbar, wie viel Familiengeschichte und Identität einfach ausgelöscht wurde."
Heute mische sich viel Trauer in die Gedanken an Mariupol. "Wäre ich doch länger geblieben", sagt Anna. Rückblickend hätte sie viel mehr Fotos, Filme und Interviews gemacht. All die Familienalben und Gemälde seien verloren gegangen. Familiengeschichte wurde durch den Krieg einfach ausgelöscht.
Mariupol - Annas Familie hat mit Glück überlebt
Was aber jeden materiellen Schaden unwichtig werden lasse, ist, dass all ihre Familienmitglieder in Mariupol überlebt haben: "Ich bin unfassbar dankbar. Ich habe keine Worte dafür, dass sie am Leben sind", sagt Anna.
So schlimm es derzeit auch um die russisch besetzte Stadt steht, sie hoffe, irgendwann wieder ein ukrainisch befreites Mariupol betreten zu können. Dann werde die Stadt definitiv eine andere sein: "Wenn ich Mariupol betrete, weiß ich, dass ich in einer Leichen-Stadt bin, auf einem Boden gehe, wo über 87.000 Menschen gestorben sind."
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