Bei der Münchner Sicherheitskonferenz wurde klar, was schon lange im Raum stand: Europa kann sich in Sachen Verteidigung nicht länger auf die USA verlassen. Zu lange sei zu wenig passiert, sagt Claudia Major von der Stiftung Wissenschaft und Politik.
Die Sicherheitsexpertin sieht drei zentrale Herausforderungen für Europa: Die politische Führung müsse gestärkt, die militärische Masse aufgebaut und Schlüsselfähigkeiten wie Luft- und Raketenabwehr verbessert werden.
"Die Amerikaner können auf einen Schlag Tausende Soldaten entsenden – Europa nicht."
Besonders im Bereich Aufklärung und Zielerfassung habe der Kontinent große Defizite.
Major führt aus, die Abhängigkeit von den USA bestünde fort, weil es an diesen entscheidenden Fähigkeiten fehle. Ihr zufolge müsse Europa dringend in Schlüsselfähigkeiten investieren, um sich eigenständig verteidigen zu können.
Eine neue sicherheitspolitische Realität
Gleichzeitig stellt sich für Major eine Grundsatzfrage: "Sind die USA noch Verbündeter, nur noch Vermittler oder schon ein Gegenspieler gegen europäische Interessen?"
"Sind die USA noch unser Verbündeter oder eher Vermittler – oder gar ein Gegenspieler?"
Major betont, dass die Verhandlungen zwischen den USA und Russland ohne Beteiligung Europas ein alarmierendes Zeichen seien.
Die Sicherheitsexpertin erklärt zudem, dass Europa Gefahr laufe, nur noch eine Randfigur in geopolitischen Entscheidungen zu sein. Wenn es nicht handlungsfähig werde, drohe es aus zentralen sicherheitspolitischen Prozessen ausgeschlossen zu werden.
Sie sieht diese Entwicklung als drastisch als katastrophal an. US-Vertreter hätten bereits vor und während der Sicherheitskonferenz ihre harte Linie verdeutlicht.
"Inhaltlich haben wir das erwartet, aber das Ausmaß war unerwartet."
Major erklärt, dass die Schärfe der Aussagen sie dennoch überrascht habe. Sie habe bereits vorhergesehen, dass die Amerikaner mehr Eigenverantwortung von Europa fordern würden, aber die drastischen Töne und die Konsequenzen dieser Haltung seien besorgniserregend. Ihrer Meinung nach müsse Europa nun realisieren, dass es selbst handlungsfähig werden müsse.
Europa muss in Verteidigung investieren
Im jetzt bei Verhandlungen nicht weiter am Rand zu stehen und wieder ernst genommen zu werden, schlägt Claudia Major für die europäischen Staaten folgendes Handlungskonzept vor:
- Die Ukraine fundamental stärken, damit sie sich behaupten und möglicherweise inakzeptable Vorschläge ablehnen könne. Sie regte an, wirtschaftlich über die Nutzung der eingefrorenen russischen Vermögenswerte und weitere Sanktionen gegenüber Russland zu sprechen.
- Die europäischen Staaten könnten sich verpflichten, einen bestimmten Teil ihrer Wirtschaftskraft solange in die Ukraine zu investieren, wie der Krieg andauere.
- Militärisch sollten die Staaten ihre nationalen Spielräume voll ausschöpfen, um zu prüfen, was sie noch an die Ukraine liefern und wo sie industriell zusammenarbeiten könnten.
- Politisch müsse klar sein, dass das Ziel aller Verhandlungen eine unabhängige Ukraine sein solle.
- Die Europäer sollten zudem einen Plan vorlegen, wie sie sich einen Waffenstillstand vorstellten: Wo die Waffenstillstandslinie verlaufen solle und was sie zur Absicherung beitragen könnten. Es brauche einen Fahrplan und ein Gesamtkonzept, das die europäische Idee darlege, da man sonst nicht an den Verhandlungstisch zurückkehren könne.
Bundeswehr-Einsatz in der Ukraine?
Während Großbritannien bereits signalisiert hat, Soldaten für eine mögliche Ukraine-Mission bereitzustellen, wird in Deutschland noch diskutiert. Norman Böhm, Bundeswehroffizier, sieht die Bundeswehr prinzipiell in der Lage, sich an einer solchen Mission zu beteiligen. Er warnt jedoch davor, die Situation zu unterschätzen.
"Die Bundeswehr wäre bereit. Die Frage ist natürlich: Mit welchem Mandat und in welchem Szenario gehen wir dorthin? Was soll gemacht werden?"
Er hebt hervor, dass zunächst ein klares Mandat und ein definiertes Einsatzszenario nötig seien. "Erst dann könne beurteilt werden, ob und wie deutsche Soldaten beteiligt werden könnten."
Böhm erklärt, dass bisher kaum jemand in der Truppe über dieses Szenario gesprochen habe. Auch auf politischer Ebene werde darüber noch zu wenig diskutiert. Er sei erstaunt, dass dieses Thema nicht längst ausführlich behandelt werde.
Seiner Meinung nach müsse sich die Politik frühzeitig auf mögliche Einsätze vorbereiten, sonst werde man in Zukunft wieder überrascht. Er fordert, dass Verteidigung in der Prioritätenliste weiter oben bleibt.
"Ich würde das Geld lieber woanders investieren, aber aktuell haben wir sicherheitspolitisch keine andere Wahl."
Böhm erklärt, dass die finanziellen Mittel zwar auch für andere politische Bereiche dringend benötigt würden, aber die aktuelle Sicherheitslage keine Alternative lasse. Deutschland und Europa müssten langfristig Sicherheit gewährleisten, was nur durch entschlossene Investitionen möglich sei.
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