"Vater unser" heißt das Romandebüt von Angela Lehner. Es spielt in Wien, in der psychiatrischen Abteilung eines Spitals – idyllisch gelegen, umgeben von Wald. Hier soll Eva Gruber zu sich kommen und mal über alles reden. Eva erzählt ihrem Psychiater eintausend Geschichten, geradezu filmreif. Manches stimmt. Vieles nicht. Und es ist nicht ganz klar, ob Eva selbst weiß, was davon nicht stimmt.

Eva ist in der psychiatrischen Klinik eingeliefert worden, weil sie behauptet, eine Kindergartengruppe erschossen zu haben. Sie sagt, mit ihrer Familie sei es schwierig. Sie habe ihren Bruder Bernhard alleine großgezogen. Sie fühlt sich für ihn verantwortlich und versteht deshalb gar nicht, warum er so viel Angst vor ihr hat. Irgendwann bemerkt Eva, dass auch ihr Bruder Bernhard sich in der Klinik befindet. Sie möchte ihn sehen. Er will das das aber nicht und versteckt sich vor ihr. 

Kammerspiel in der Psychiatrie

Eva entscheidet sich dazu, zu streiken, bis sie ihren Bruder sehen und mit ihm sprechen kann. Sie will an keiner Einzel- oder Gruppentherapiestunde mehr teilnehmen. Sie will weder malen noch singen noch klatschen. Nach ein paar Tagen genehmigt der Psychiater ihr dann ein Treffen mit ihrem Bruder. 

Irgendwann sieht auch Bernhard ein, dass er sich in der Klinik nicht mehr vor seiner großen Schwester verstecken kann. Sie kennt all seine Verstecke. Und Bernhards Freundin, Adriana, die mit den Verbänden an den Handgelenken, findet seine Schwester Eva toll. Und weil Bernhard Adriana sehr mag, lässt er sich darauf ein, Eva in seiner Nähe akzeptieren. Und ein bisschen findet er es auch schön, wenn sie im Wald spazieren oder spielen, so wie früher, als sie noch Kindern waren, als alles okay war.

War früher wirklich alles okay?

Aber: Wenn früher wirklich alles ok war, warum sind dann beide in der Klinik? Bernhard mit Anfang, Eva mit Mitte zwanzig, er magersüchtig, sie mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung. Wenn wirklich alles okay war, warum driften ihre Erinnerungen dann so sehr auseinander? Daran, dass Bernhard bei der frommen Mutter schlafen durfte, und dass der Vater Eva lieber hatte? Daran, dass Bernhard so still war, und alle Kinder sagten: Die Eva lügt. Daran, dass die eine tagsüber immer weinte, und der andere nachts schrie? 

Der Vater soll die Schuld tragen

Jemand wird die Schuld tragen müssen: entweder der Vater, der Sohn oder der heilige Geist. Weil der Sohn sich gerade zu Tode hungert und man einen Geist nicht töten kann, muss der Vater dran glauben, denkt sich Eva. Sie will ihn töten, sobald sie aus der Klinik entlassen wird. 

Allerdings hat Eva ganz vergessen, dass ihr Vater längst nicht mehr lebt...

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…wenn du dich mal selber reden hören müsstest
vom 07. April 2019
Autorin: 
Lydia Herms, Deutschlandfunk Nova