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In Frankreich startet die Tour de France. Doch viele Nachwuchsfahrer winken ab: zu hart, zu viel Druck. Ex-Profi Dominik Nerz bekam einst vom Arzt die Warnung: Wenn du so weitermachst, stirbst du. Was läuft schief im deutschen Radsport?

Die Tour de France ist für viele Radfahrprofis der Traum: Einmal als Erster einer Etappe über die Ziellinie rollen. Das Bergtrikot mit nach Hause nehmen. "Es gibt auch bis heute immer noch Profis, die sich wie ein kleines Kind freuen, wenn der sportliche Leiter der Mannschaft anruft und sagt: 'Du hast eins von den acht Tickets für unsere Mannschaft bekommen. Du bist dabei.'"

Eine solche Nachricht bekam auch Dominik Nerz. In den Jahren 2015 und 2016 galt er als große Nachwuchshoffnung im deutschen Radsport. Er sollte das Red-Bull-Racing Team als Kapitän zur Tour de France anführen. Die Anforderungen waren sehr hoch, erzählt er. Auch der mediale Druck sei immens gewesen.

Siege einfahren – um jeden Preis

Doch als Dominik auf dem Weg zur ganz großen Karriere ist, bricht seine Leistung immer wieder ein. "Ich wurde bei Rennen immer wieder abgehängt", erinnert er sich. Dann ging es für ihn ein Ärztemarathon los. Niemand im Team konnte sich erklären, was los war. "Weil es aber auch niemand wahrhaben wollte", sagt Dominik Nerz heute, "inklusive mir."

Depression und Magersucht

Im Radsport galt es damals als ganz normal, dass das Körpergewicht immer an der unteren Grenze war, sagt Dominik Nerz. In der Zeit, als er professionell Rennen fuhr, ist der Körperfettanteil der Fahrer mitunter auf Listen ausgehängt worden. "Der Arzt hat die Hautfalten mit einer Zange gemessen. Diese Ergebnisse wurden dann veröffentlich", berichtet der Radprofi. Und für die Sportler habe es als Challenge gegolten, sich in den Werten zu unterbieten.

"Irgendwann ging es mir gar nicht mehr um den Sport oder um die Leistung, sondern nur noch darum, noch mehr Gewicht zu verlieren."
Dominik Nerz, Radrennfahrer

2016 war es so weit, erzählt Dominik Nerz. "Ich weiß es noch genau. Ich wurde bei einem Rennen in Italien wieder relativ schnell abgehängt. Als ich über einen Hügel fuhr und die Landschaft betrachtete, kam es wirklich wie ein Blitzschlag: Fuck, was mache ich hier?" Daraufhin fuhr Dominik Nerz ins Hotel, packte seine Sachen und ging. Damit war seine Karriere als Profisportler vorbei.

"Ich habe den Radsport geliebt, es war wirklich meine Passion. Aber irgendwann musste ich einsehen, dass es einfach nicht mehr so werden wird, wie es mal war."
Dominik Nerz, Radrennfahrer

Matthias Friebe arbeitet in der Sportredaktion des Deutschlandfunks und beschäftigt sich seit langem mit dem Radsport, bezeichnet ihn in Teilen sogar als krank. Allerdings läuft seiner Einschätzung nach heute vieles besser als damals als vor zehn, zwanzig Jahren, sagt er. "Das liegt daran, dass man heute mehr über Ernährung weiß. Die Sportler werden auch viel besser von Sportwissenschaftlern und Medizinern überwacht." Zudem sei das Bewusstsein für mentale Probleme und mentale Gesundheit viel höher.

Radsport ist in Deutschland nicht mehr so beliebt wie früher

Gleichzeitig strauchelt der Radsport in Deutschland. Nachwuchssportler fehlen. Bei der Tour de France 2025 kommen von 180 Teilnehmern zehn aus Deutschland. Eine ganz ordentliche Quote, findet Matthias Friebe, aber es habe schon Jahre mit mehr deutschen Teams gegeben.

Laut Matthias Friebe sind die Probleme im deutschen Radsport vielfältig:

  • Ausdauersportarten gelten als anstrengend
  • Sport ist durch die verbesserte Technik der Räder sehr teuer
  • Zu wenig Sportförderung
  • Zu wenige Rennen in Deutschland aufgrund der bürokratischen Hürden und steigenden Sicherheitsanforderungen
  • Imageverlust durch Dopingskandale der letzten Jahre

Florian Lipowitz: neues Vorbild im Radsport?

Es gibt aber auch ein Hoffnungszeichen in Sachen positive Vorbilder, meint Matthias Friebe. "Florian Lipowitz ist ein ganz junger Fahrer. Er fährt gerade seine erste Tour de France und konnte bei den Vorbereitungsrennen mit den absoluten Superstars mithalten."

Und dann gibt es noch Vorbilder wie Dominik Nerz, der sich traut über Druck, Warnzeichen und das zu sprechen, was wir gesellschaftlich wohl als Scheitern bezeichnen würden. Dominik sagt, dass er den aktuellen Stand bei Profifahrern nicht mehr beurteilen kann, weil ihm dafür der Einblick fehlt. Aber er ist kritisch und wird schnell hellhörig.

"Wenn ich mitbekomme, dass Zwölfjährige im Windkanal trainieren, um das absolute Maximum rauszukriegen, frage ich mich: Was machen die, wenn sie Profis werden?"
Dominik Nerz, Radrennfahrer

Sein Rat an junge Talente lautet: "Macht Radsport, weil es Spaß macht. Trainiert fleißig, aber fangt nicht zu früh an, euch zu optimieren." Denn das sei damals sein Fehler gewesen, sagt Dominik Nerz rückblickend. Er liebt den Radsport übrigens immer noch. Wenn er könnte, würde er sogar noch mal Profi werden wollen. "Aber dann würde ich mir persönlich wünschen, mit einem größeren Selbstvertrauen auf mich selbst hören."

In der Podcastfolge geht es auch um Frauen im Radsport und die Geschichte des Radrennfahrers Jan Ulrich.

Hinweis: Auf dem Bild ist Dominik Nerz bei der Tour de France 2015 zu sehen.

Ihr habt Anregungen, Wünsche, Themenideen? Dann schreibt uns an Info@deutschlandfunknova.de

Shownotes
Tour de France
Wie krank ist der Profi-Radsport?
vom 04. Juli 2025
Moderation: 
Ilka Knigge
Gesprächspartner: 
Dominik Nerz, Radrennfahrer
Gesprächspartner: 
Matthias Friebe. Deutschlandfunk Sportredaktion