Viele junge Türken dürfen bei der nächsten Parlaments- und Präsidentschaftswahl im Jahr 2023 zum ersten Mal wählen. Wie sie zu Präsident Recep Tayyip Erdoğan stehen, und wie viel Einfluss sie auf die Politik der Türkei nehmen könnten, besprechen wir mit unserer Korrespondentin in Istanbul.

Die sogenannte Generation Z - diejenigen, die um das Jahr 2000 herum geboren wurden - macht einen großen Teil der türkischen Bevölkerung aus. Mit rund 25 Millionen der rund circa 80 Millionen Türken, ist der Anteil der jungen Menschen dort deutlich höher als in Deutschland.

Die türkische Generation Z gilt als gut vernetzt und informiert sich hauptsächlich im Netz. Mit den Einschränkungen, die die türkische Regierung für die Nutzung von Social Media plant, werden auch ihre Kanäle zur freien Meinungsäußerungen stärker eingegrenzt. Wenn sie 2023 das erste Mal bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen wählen, könnte das eine Rolle dabei spielen, wem sie ihre Stimme geben.

"Es gibt diejenigen, die sich überall engagieren. Die Frage ist, wie groß ist diese Gruppe? Oder sehen wir einfach nur diejenigen, die sich immer engagieren?"
Karin Senz, Korrespondentin in Istanbul

Es gibt einiges, was junge Türken in der Türkei zurzeit kritisch sehen. Zum einen ist es das Bildungssystem, das immer stärker religiös geprägt wird, sagt unsere Korrespondentin Karin Senz. Viele Eltern, zumindest diejenigen, die sich das leisten können, würden ihre Kinder auf nicht-staatliche Schulen schicken, um den religiösen Einfluss zu vermeiden.

Jeder vierte junge Türke ist arbeitslos

Die junge Generation hat es in der Türkei schwer, einen Job zu finden. Viele jobben, zum Beispiel in Cafés. Während des Lockdowns zu Beginn der Coronavirus-Pandemie fiel auch diese Option weg, weil die Cafés schließen mussten. Selbst wenn ein junger Mensch in der Türkei es schafft, einen Job zu bekommen, ist die Bezahlung zu gering, um bei den Eltern auszuziehen.

"Die jobben halt in Cafés, aber die waren zu Corona-Zeiten zu. Und dann sitzen die im Park, weil sie sagen, 'ich will meinen Eltern nicht auf der Tasche liegen'."
Karin Senz, Korrespondentin in Istanbul

Karin Senz hat in den letzten Wochen und Monaten mit türkischen Jugendlichen gesprochen, die sich in Istanbuler Parks die Zeit vertrieben haben, weil sie nach eigener Aussage den Eltern nicht auf der Tasche liegen wollten. Ihre schlechten Zukunftsperspektiven verleiten manche jungen Türken dazu, herauszufinden, ob es eine Chance gibt, ins Ausland zu gehen. Aber auch dazu fehlt den meisten das Geld.

"Ja, die Sozialwissenschaftler streiten sich jetzt, ob das eine sehr politische Generation ist oder eher eine unpolitische."
Karin Senz, Korrespondentin in Istanbul

Unsere Korrespondentin sieht eine gewisse Politikverdrossenheit bei manchen Mitgliedern der Generation Z. Manche jungen Türken würden Abstand von politischen Debatten im Fernsehen und in anderen klassischen Medien nehmen, weil die Politiker sich nach ihrem Empfinden doch nur streiten oder sie meinen, es gehe ohnehin nicht alles mit rechten Dingen zu.

Erdoğans Youtube-Live gipfelt in Shitstorm

Recep Tayyip Erdoğan hat vor Kurzem mit einer Youtube-Live-Schalte versucht, Mitglieder der Generation Z medial zu erreichen. Letztendlich müssen sich die Zuschauer von den Aussagen des türkischen Präsidenten aber provoziert gefühlt haben, weil das Ganze in einem Shitstorm gipfelte, der sich gegen Recep Tayyip Erdoğan richtete. Außerdem trendete im Anschluss sinngemäß der Twitter-Hashtag "Keine Stimme für dich" (#oymoyyok).

Auch andere Parteien, wie die CHP, bemühen sich um die zukünftigen Wähler. Die hat jetzt beschlossen, dass 20 Prozent eigenen Parteivorstands jünger als 30 Jahre sein muss.

Unsere Korrespondentin Karin Senz ist weiter gespannt, welche medialen Offensiven die AKP und andere Parteien starten werden, um die Generation Z einzunehmen - denn immerhin machen die Stimmen dieser Generation zwölf Prozent der Gesamtwählerschaft aus.

Shownotes
Erstwähler 2023
Türkische Parteien umwerben Generation Z
vom 31. Juli 2020
Moderatorin: 
Jenni Gärtner
Gesprächspartnerin: 
Karin Senz, Korrespondentin in Istanbul