Der türkische Geheimdienst MIT setzt die Türken in Deutschland unter Druck. Das legen neue Medienberichte nahe. Wie genau, diese Frage kann wohl höchstens der Bundesnachrichtendienst beantworten.
Tausende Informanten des türkischen Geheimdienstes MIT (im Bild Recep Tayyip Erdogan und MIT-Chef Hakan Fidan am 22. Juli 2016 in Ankara) sind in Deutschland aktiv, das hat ein Bericht der Welt am Sonntag hervorgebracht. Und der Spiegel berichtet, der MIT habe Kollegen des deutschen Geheimdienstes BND aufgefordert, gegen Anhänger der Gülen-Bewegung vorzugehen. Der MIT soll in Westeuropa 800 hauptamtliche Offiziere und 6000 Informanten haben - die meisten davon in Deutschland, sagt Kemal Hür aus unserem Hauptstadtstudio in Berlin.
"Damit käme auf 500 Türkei-stämmige Menschen ein Agent oder Informant des MIT. Aber es sind wohl noch mehr."
Die Zahl 500 höre sich schon erschreckend hoch an, sagt Hür, doch wenn man sich die Situation seit dem Putschversuch in der Türkei vor Augen führe, dann dürften mittlerweile sogar noch sehr viele inoffizielle Informanten hinzugekommen sein.
Aufforderung zur Denuntiation
Denn Erdogan fordere seine Anhänger ja wiederholt auf, Menschen zu denunzieren, die der Gülen-Bewegung nahestehen, die Erdogan für den Umsturzversuch verantwortlich macht. Er habe bereits zwei Tage nach dem Putschversuch Rundmails und Whatsapp-Nachrichten gelesen und selbst bekommen, erzählt Hür, in denen dazu aufgefordert wird, Geschäfte und Vereine, die der Gülen-Bewegung nahestehen, an die türkischen Behörden zu melden. Das habe man per Fax, Telefon und E-Mail bequem machen können.
"Auf diesen Listen stehen aber nicht nur Vereine und Geschäfte von Gülen, sondern auch kurdische und alevitische."
Der Geheimdienst schüchtere die Türken in Deutschland ein, das funktioniere auch ohne aktives Handeln der Agenten.
Einschüchterung
Viele türkische und kurdische Oppositionelle wüssten ohnehin, dass sie seit Langem beobachtet würden.
"Experten sagen, Geheimdienstler arbeiten unter falscher Identität in Reisebüros, türkischen Banken und anderen Einrichtungen."
Viele Türken, mit denen er gesprochen habe, hätten aus Angst vor Übergriffen ihren Urlaub in der Türkei verschoben:
- Ein kurdischer Verbandsfunktionär etwa, dessen Verwandten und Freunde in der Türkei teilweise den Kontakt zu ihm abgebrochen haben, weil er in Deutschland zur Zielscheibe von Erdogan-Anhängern geworden ist
- Ein ehemaliger Buchhändler und Online-Journalist, der der Gülen-Bewegung nahesteht – er habe über soziale Netzwerke Meldungen bekommen, dass er den türkischen Behörden gemeldet wurde und dass er damit rechnen müsse, bei der Einreise entsprechend behandelt zu werden
"Welche Rolle der Geheimdienst genau spielt, ist schwer zu sagen. Aber die Grenzen sind momentan sehr fließend."
Der MIT sei aber nicht die einzige Gruppierung, die die Interessen von Erdogans AKP in Deutschland verbreite, sagt Hür.
Welche Organisationen gibt es noch?
- Erdogans europaweite Lobbyorganisation, die Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD) mit ihrer Zentrale in Köln, organisiert die großen Auftritte des Präsidenten in Deutschland und macht Wahlkampf für ihn
- Auch die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB), der große türkisch-muslimische Dachverband mit 900 Moscheen bundesweit, unterstützt Erdogans Auftritte und den Wahlkampf
- Außerdem gibt es die "Jungen Osmanen", eine Jugendorganisation von Erdogan-Anhängern, und den Osmanen Germania Boxclub - beide Gruppierungen träten türkisch-islamisch-nationalistisch auf, so Hür
Weitere sehr wichtige Akteure seien die türkischen Botschaft und die Konsulate: Das Berliner Generalkonsulat zum Beispiel lade türkische Vereine zu geschlossenen Veranstaltungen ein und gebe ihnen Argumentationshilfen zu Themen wie etwa dem Armenien-Genozid.
"Diese Vereine sollen lernen, die offizielle türkische Version zu verbreiten, also den Völkermord abzustreiten und zu leugnen."