Mediziner aus Basel und Hamburg haben Menschen, die an Covid-19 gestorben sind, untersucht. Was sie dabei festgestellt haben, was wir dadurch über die Viruserkrankung lernen, und wie man bei einer Leichenöffnung vorgeht, erklärt Kriminalbiologe Mark Benecke.
Bis vor Kurzem hatte das Robert-Koch-Institut (RKI) noch auf seiner Website empfohlen, keine Obduktionen an verstorbenen Covid-19-Patienten durchzuführen. Der Kriminalbiologe Mark Benecke vermutet, dass das Institut zunächst von medizinischen Untersuchungen abgeraten hat, weil nicht ausgeschlossen werden konnte, dass sich Mediziner mit dem neuartigen Coronavirus infizieren könnten, wenn sie die Leichen öffnen. Anfangs wusste man noch recht wenig über die Ansteckung mit Sars-CoV-2.
RKI-Vize Lars Schaade: "Möglichst viel obduzieren"
Inzwischen plädiert RKI-Vizepräsident Lars Schaade für eine Änderung der Strategie und sagte, dass es bei neuen Krankheiten wichtig sei, möglichst viel zu obduzieren.
"Ich kann mir das nur so erklären, dass sie nicht sicher waren, wie sich die Krankheit überträgt. Das wussten wir am Anfang zum Beispiel auch nicht bei HIV, also bei ausgebrochenem Aids, oder bei Tuberkulose."
In Hamburg haben Rechtsmediziner inzwischen 140 Covid-19-Tote obduziert, wie Mark Benecke berichtet. Bei der Leichenöffnung werde alles genau untersucht - das Gehirn, das Herz, die Muskeln, Adern und inneren Organe der Verstorbenen.
"Rund 80 Prozent der Obduzierten hatten Herz-Kreislaufvorerkrankungen", sagt Mark Benecke, eine Vorerkrankung der Lunge, und sie waren recht alt. Bei anderen Obduzierten ließen sich Demenzerkrankungen wie Alzheimer feststellen. "Die wenigsten hatten keine Vorerkrankungen", sagt der Kriminalbiologe - das gilt für rund 20 Prozent.
"Als Facharzt oder Fachärztin für Rechtsmedizin schaust du dir alles an: Das Gehirn wird geöffnet, indem man den Schädel aufsägt. Man schaut sich das Herz an, aber auch die Muskeln, ob da Einblutungen von Schlägen sind oder von Ader-Aufplatzungen und dergleichen."
Ohne Obduktion bleibt genaue Todesursache oft unerkannt
Mark Benecke sagt, die Ergebnisse der Untersuchungen ergänzen sich sehr gut durch das, was wir aus anderen Studien wissen: Zum Beispiel haben Menschen, wenn sie im Alter langsam sterben, oft auch eine Lungenerkrankung. Um die genaue Todesursache von Verstorbenen herauszufinden, müsse man die Leichen immer öffnen.
"Wenn man europaweit guckt, nicht deutschlandweit, stellt man fest, dass doch eine ganz, ganz deutliche Übersterblichkeit vorliegt - und die kann nur von Covid kommen."
Dass Covid-19 tödlicher ist als eine herkömmliche oder starke Grippewelle, das haben neuere Studien nun auch gezeigt. Immer wieder komme der Vergleich mit der außergewöhnlich starken Grippewelle 2017/2018, bei der rund 25.000 Menschen in Deutschland gestorben sind, sagt Benecke. Viele Kritiker nehmen das zum Anlass, um politische Maßnahmen zu kritisieren, die die Ausbreitung des Virus verhindern sollen.
Übersterblichkeit in Europa
Wissenschaftler haben sich nun Daten der letzten fünf Jahre angesehen, um zu überprüfen, ob eine Übersterblichkeit besteht - also ob im März oder April 2020 mehr Menschen gestorben sind als in den Jahren zuvor. Das Ergebnis: In Europa insgesamt liegt eine Übersterblichkeit vor - in Deutschland bislang aber nicht.
"Insgesamt muss man nach wie vor mörderisch aufpassen und nicht einfach sagen: Ja, ja, das kriegen wir schon alles in den Griff."
Mark Benecke meint, wir sollten sehr vorsichtig sein damit, diese sichtbaren Effekte und die Gefährlichkeit der Ausbreitung zu unterschätzen, indem wir den Fokus zu sehr darauf legen, dass vor allem vorerkrankte und alte Menschen häufiger sterben.
Viele Fälle anfangs nicht erkannt
Die Ausbreitung des Coronavirus sei dadurch begünstigt worden, dass zu Beginn der Pandemie viele Fälle nicht erkannt worden seien. Das zeigte jetzt eine Studie im Wissenschaftsmagazin Science zu Covid-19-Erkrankungen in China.