Gesichtserkennung kann ziemlich praktisch sein – zum Beispiel, wenn wir damit unser Smartphone entsperren. Im öffentlichen Raum ist sie allerdings höchst umstritten. Bundesinnenminister Horst Seehofer wollte die Live-Gesichtserkennung in das neue Bundespolizeigesetz aufnehmen. Die Gegenstimmen beharren auf ein Recht auf Anonymität.

In Moskau sollen bald 170.000 Überwachungskameras an Gesichtserkennungs-Softwares angeschlossen werden, und auch in London setzt die Polizei die Technologie ein. Der Grund: Straftaten sollen besser aufgedeckt werden. Auch Bundesinnenminister Horst Seehofer wollte die Gesichtserkennung für den öffentlichen Raum in Deutschland durchsetzen. Über die automatisierte biometrische Gesichtserkennung diskutierte heute nun der Bundestag.

Gesichtserkennung bereits getestet

Am Berliner Südkreuz wurde diese Art der Live-Gesichtserkennung bereits modellhaft getestet. Die Bundespolizei und das Innenministerium ließen für diese „intelligente Videoüberwachung“ Freiwillige durch einen von Kameras überwachten Bereich gehen. Diese Kameras waren mit einer speziellen Software verbunden, die die einzelnen Gesichter scannt und sie mit einer biometrischen Datenbank abgleicht, erklärt Deutschlandfunk-Nova-Reporter Vassili Golod.

Parteien kritisieren Gesichtserkennung

Videoüberwachung ist grundsätzlich nichts Neues. An vielen Bahnhöfen oder Verkehrsknotenpunkten sind Kameras angebracht. Der große Unterschied ist aber: Die gleichen ihre Bilder nicht mit einer biometrischen Datenbank ab. Live-Gesichtserkennung erfasst jede Person, die an einem bestimmten Ort vorbei läuft und kann ermitteln, ob sich diese auch in der Datenbank der Polizei befindet. So hatte es Horst Seehofer vorgesehen. In den Datenbanken der deutschen Sicherheitsbehörden sind aktuell mehr als 5,8 Millionen Gesichtsbilder gespeichert.

"Mit der Live-Gesichtserkennung wird eine Grenze überschritten. Alle Menschen, die sich im öffentlichen Raum bewegen, werden behandelt, als wären sie potentielle Verbrecher.“
Konstantin Kuhle, Innenpolitischer Sprecher der FDP

Die Linke, die Grünen und die FDP haben sich gegen die Einführung der automatisierten Gesichtserkennung ausgesprochen. Die Grünen fordern darüber hinaus ein neues Gesetz, das den Einsatz von Gesichtserkennungssystemen im öffentlichen Raum vollständig verbieten soll. Soweit geht die FDP nicht. Die Technik, die hinter der Gesichtserkennung steht, könne man sich auch zunutzen machen, meint Konstantin Kuhle.

"Nicht alles, was Gesichtserkennung ist, führt direkt in die Hölle.“
Konstantin Kuhle, Innenpolitischer Sprecher der FDP

Schließlich würde man sein Smartphone auch schon mit einer Gesichtserkennung entsperren können. Aber man müsse Sensibilität für das Thema schaffen. Beispiele wie China oder der Fall Clearview würde die Risiken der Gesichtserkennung offenlegen. Das Unternehmen Clearview in den USA hatte eine Datenbank zu Verfügung gestellt – mit Daten von drei Milliarden Menschen. Wie bei einer normalen Suchmaschine konnte gezielt nach Personen gesucht werden.

Gesichtserkennung nicht vom Tisch

Auch wenn die Live-Gesichtserkennung vorerst nicht kommt, bleibt das Innenministerium weiterhin der Ansicht, dass "Systeme zur Live-Gesichtserkennung gerade im Bereich der Gefahrenabwehr einen wesentlichen Beitrag zur Erhöhung der Sicherheit in Deutschland leisten". Es könnte also sein, dass die Gesichtserkennung trotzdem kommt – nur in abgespeckter Form, sagt Vassili Golod von Deutschlandfunk Nova, also zum Beispiel auf einigen wenigen Bahnhöfen. Durch sei das Thema jedenfalls noch lange nicht.

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Shownotes
FDP-Politiker Konstantin Kuhle
"Mit der Live-Gesichtserkennung wird eine Grenze überschritten"
vom 30. Januar 2020
Moderation: 
Sonja Meschkat
Gesprächspartner: 
Vassili Golod, Deutschlandfunk Nova Reporter