Der Verfassungsschutz in Brandenburg und Thüringen befürchtet im Winter Massenproteste – unter anderem wegen gestiegener Energie- und Lebenshaltungskosten. Problem daran ist, dass vor allem demokratiefeindliche Gruppen hierfür mobilisieren. Besonders die rechtsextreme Szene wolle sich in Stellung bringen, so Konfliktforscher Andreas Zick.
"Wir befürchten im Herbst (…) eine hochemotionale, explosive und gewalttätige Situation, wo es zu Straßenprotesten kommen wird, die von Extremisten unterwandert und geschürt werden. Dagegen ist das, was wir in der Corona-Pandemie erlebt haben, wahrscheinlich eher ein Kindergeburtstag."
Stephan Kramer, der Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes, warnt: Extremisten könnten nach Corona jetzt die Energiekrise und die Inflation nutzen, um Menschen zu Massenprotesten zu mobilisieren. In den Medien kursiert auch das Wort "Wutwinter" – den Begriff hat der brandenburgische Verfassungsschutzchef Jörg Müller genannt.
Feindbilder bedienen
Nach der Meinung von Fachleuten wird es bei den Protesten wohl weniger um inhaltliche Kritik an hohen Gaspreisen oder schlechter Wirtschaftslage gehen, sondern vielmehr darum, das demokratische System in Frage zu stellen. Bestimmte Feindbilder sollen geschürt, Politiker*innen an den Pranger gestellt oder gleich "das System" abgeschafft werden.
Bundeskanzler Olaf Scholz schätzt die Gefahr von Massenprotesten dagegen eher geringer ein und gibt sich "zuversichtlich". Der deutsche Sozialstaat werde niemanden alleine lassen: "You'll never walk alone".
"Ich glaube nicht, dass es in diesem Land zu Unruhen in dieser skizzierten Form kommen wird, und zwar deshalb, weil Deutschland ein Sozialstaat ist. Dieser Sozialstaat muss in dieser Situation wirksam sein, indem er klar sagt, dass wir niemanden alleine lassen werden. You'll never walk alone."
Man müsse Olaf Scholz und seine Rolle und Herausforderung als Kanzler verstehen, sagt Andreas Zick, Professor für Konflikt- und Gewaltforschung an der Uni Bielefeld. Als Regierungschef könne er kein Bedrohungsszenario hochfahren. Bundesinnenministerin Nancy Faeser sei aber auf die Situation vorbereitet.
"Die rechtsextreme Szene hat den Herbst im Visier, um deutlich zu zeigen, dass sie wieder da ist."
Gerade in Thüringen und auch in bestimmten Gebieten in Westdeutschland gebe es lokal sehr gut aufgestellte rechtsextreme Milieus, die sich "jetzt schon vorbereiten". Außerdem seien damals bei den Corona-Protesten Menschen aus Spektren vertreten gewesen, die nicht eindeutig rechtsextrem sind. 2021 habe es eine deutliche Steigerung der politisch motivierten Straftaten gegeben, die eben diesem Spektrum zuzurechnen sind.
Hass und Gewalt haben bei Protesten nichts zu suchen
Protest gehört zu einer Demokratie und Demonstrationen sind bei uns verfassungsrechtlich geschützt – auch Corona-Proteste. Problematisch wird es aber dann, wenn Hass und Gewalt gegen Personen oder Sachen ausgeübt werden, erklärt der Gewaltforscher. Genau das sei während einiger Corona-Proteste passiert. Die Berliner Polizei habe solche Vorgänge gezählt. Demnach kommt es immer häufiger zu Gewalt gegen Polizei, Hilfsdienste oder Presse.
Extremistische, menschenfeindliche Herabwürdigungen sind kein Protest, sondern verboten – etwa Antisemitismus oder Verschwörungserzählungen, in die menschenfeindliche Bilder gegen Minderheiten verpackt werden. Was "extremistisch" genau bedeute und ab wann diese Aktivitäten demokratiegefährdend seien, sei nicht so einfach zu definieren, meint Andreas Zick.
"Durch neue Formen von Extremismus und Radikalität weit in der Mitte [der Gesellschaft] sind wir gefordert, neu zu bestimmen, was 'extremistisch' ist. Das ist heute nicht mehr so einfach."
Bei den Protesten komme es darauf an, ob es Gegenproteste gebe, die zu einer Mäßigung führen können. Gegen manche der neuen Verschwörungsmythen gebe es kaum Gegenbewegungen, wohl weil sie so schwierig zu fassen seien.
Aufklärung über Extremismus wichtig
Minderheiten in einer Gesellschaft können einen Staat in Unruhe versetzen – und im ungünstigsten Fall können diese Minderheiten in den Extremismus oder die Radikalität abwandern, so Andreas Zick. Er empfiehlt, sich genau anzuschauen, wer diese Minderheiten sind. Viele Berichte über Corona-Proteste, Pegida und Querdenker hätten über die Zusammenhänge aufgeklärt.
Gleichzeitig – und das sei eine neue Herausforderung – würden manche Gruppierungen ihre eigene Medienwelten aufbauen. Laut Andreas Zick würden so Parallelgesellschaften entstehen, in denen etablierte Medien als System- oder Mainstream-Medien diffamiert werden und deren Berichterstattung sie ablehnen oder ignorieren.