Wenn die Corona-Krise eines gezeigt hat, dann, dass die Politik auch handeln kann, wenn sie das will. Und wir? Hat die Krise auch unsere Einstellung hin zu einem Wandel verändert? Die Vermächtnisstudie 2020 sagt: Da tut sich was.
Ausgangsbeschränkungen, die Schließung von Grenzen innerhalb Europas oder die Einstellungen des Flugverkehrs. Wer hätte vor einem Jahr damit gerechnet, dass das bei uns möglich ist? Derartig strikte Maßnahmen, wie sie die Politik in der Corona-Krise aufgefahren hat, haben Umweltaktivistinnen- und aktivisten schon seit langem für die Klimapolitik gefordert - ohne Erfolg.
Was macht das aber mit dem Zusammenhalt in der Gesellschaft, wenn es Ansprüche an die Politik gibt, die nicht erfüllt werden? Die Vermächtnisstudie hat nach 2015 und 2018 in diesem Jahr zum dritten Mal untersucht, wo die Bruchstellen liegen und wo politisches Handeln ansetzen sollte.
Befragt wurden 1014 Menschen in 2015, 2018 und 2020 unter anderem dazu, was ihnen wichtig ist und was ihnen wichtig sein sollte. Das Ergebnis ist eindeutig: Der Wille zum Wandel ist mittlerweile da, fasst Jutta Allmendinger zusammen, Soziologie-Professorin und Mit-Autorin der Vermächtnisstudie.
Wille zum Wandel
Luca Samlidis zum Beispiel hat diesen Willen zum Wandel und setzt sich dafür ein. Er hat hohe Ansprüch an sich, seine Mitmenschen und die Politikerinnen. Wenn er an den Münsterplatz in Bonn denkt, dann verbindet er damit nur gute, sogar richtig euphorische Gefühle. Denn hier hat der 21-jährige Student schon oft mit so vielen anderen Menschen für ein Umdenken in der Klimapolitik demonstriert- zum Beispiel am 15. März 2019, beim ersten, global koordinierten Klimastreik der Fridays-for-Future-Bewegung.
"Den Münsterplatz verbinde ich mit total euphorischen Emotionen und dann schaue ich auf das Stadthaus, was gerade so freundlich wirkt und bin einfach ernüchtert."
Wenn Luca Samlidis allerdings an das Stadthaus in Bonn denkt, dann fühlt er Resignation. Denn nach dem 15. März haben die Kommunalpolitikerinnen- und politiker, die im Stadthaus tagen, einen aus seiner Sicht wenig zufriedenstellenden Maßnahmenkatalog vorgelegt.
Zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Und genau hier setzt die Vermächtnisstudie an. An der Selbstwahrnehmung zum Beispiel von Luca Samlidis, was er denkt, was ihm wichtig ist und was wichtig sein sollte. Er fühlt diese Lücke zwischen seinem Anspruch und der Wirklichkeit ganz genau.
"Wir erheben im Prinzip die Selbstwahrnehmung der Personen, was sagen die, was ihnen wichtig ist aber auch, was sollte ihnen wichtig sein."
Die Studie ist eine Art Seismograph gesellschaftlicher Entwicklungen. Erhoben und analysiert werden ihre Daten vom infas Institut für angewandte Sozialwissenschaften und dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Die Frage nach mehr Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein ist ein Aspekt der Befragung.
Für Jutta Allmendinger stellt die dritte Erhebung, die zum Beginn der Corona-Krise geführt wurde, "einen großen Wandel" dar. Denn während zwischen den Erhebungen von 2015 und 2018 kaum eine veränderte Einstellung bei den Befragten zu erkennen war, haben sich die Antworten von 2020 auf Nachhaltigkeitsfragen deutlich verändert.
"Wir haben jetzt, zwischen 2018 und 2020 genau bei diesen Nachhaltigkeitsfragen signifikante, hoch-signifikante Unterschiede in den Antwortverhalten."
Die Autorinnen und Autoren wollten zum Beispiel wissen: Wäre ein hartes Durchgreifen wie in der Corona-Krise auch ein Erfolgsrezept für die Klimapolitik? Mehr als die Hälfte der Befragten stimmten zu und würden die Maßnahmen auch akzeptieren. Der Wille, sich ändern zu wollen, sei also da.
Mehr Mut und Durck auf die Politik
Wenn wir allerdings die gleiche Härte an Maßnahmen, die die Corona-Krise hervorgebracht hat, auch für die Klimapolitik wollen, müsse sich noch einiges tun, sagt Jutta Allmendinger. Es brauche eine Gesellschaft, die sich über alle Altersgruppen hinweg besser organisiere und noch mehr Druck auf die Politik ausübe, als das bisher der Fall war.
"Inwieweit man diese Umsteuerung tatsächlich auf das Klima übertragen könne, das hängt ganz stark davon ab, wie sich die Zivilgesellschaft organisiert."
Die Ergebnisse der Vermächtnisstudie machen Mut. Sie zeige vor allem der Politik, so Jutta Allmendinger, dass die Menschen längst bereit sind für mehr Wandel und mehr Solidarität – gesellschaftlich wie ökologisch.
Doch: In einer Befragung zu sagen, man wolle sich ändern und dafür auch strengere Maßnahmen in Kauf nehmen, ist das eine. Den eigenen Konsum, das Verhalten zu verändern und die Bereitschaft zu haben, für den Wandel auch politisch aktiv zu werden, ist das andere. Ob die veränderten Einstellungen, wie sie sich in der Studie zeigen, auch tatsächlich zu einem veränderten Verhalten führen, können nur wir selbst beantworten.