Viele Deutsche sind reich. Aber noch mehr haben gar nichts. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung nennt Möglichkeiten, die Ungleichheit zu verringern. Eine höhere Vermögensabgabe ist nicht dabei.

Nach neuen Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin besitzen die reichsten zehn Prozent der deutschen Erwachsenen noch mehr als bisher angenommen – nämlich rund 67 Prozent des Nettovermögens in Deutschland. Bisher war man von 59 Prozent ausgegangen.

Rund jeder 65. deutsche Erwachsene besitzt ein individuelles Nettovermögen (Bruttovermögen abzüglich der Schulden) von mindestens einer Million Euro.

"Es gibt kein Land, das Einkommen auf Arbeit so stark besteuert wie Deutschland, aber Vermögen und Einkommen durch Vermögen so gering."
Marcel Fratzscher, Ökonom

Die Millionäre sind übrigens weitgehend älter und männlich. Unter den Millionärinnen und Millionären ist der Anteil von Frauen mit 30 Prozent relativ gering. 14 Prozent haben einen Migrationshintergrund, sechs Prozent kommen aus den neuen Bundesländern, 40 Prozent sind über 65 Jahre alt.

Die Berechnung zeigt auch: 30 Prozent der Deutschen haben gar kein Erspartes.

Erben spielt eine große Rolle

Als wichtigste Gründe für die ungleiche Vermögensverteilung sieht der Leiter des DIW und Professor für Makroökonomie an der Humboldt-Universität zu Berlin Marcel Fratzscher zwei Gründe:

  • Zum einen stecke viel Vermögen in Familienunternehmen. Hier kann es sich bei guten Geschäften vermehren, und oft werden die Unternehmen auch vererbt. Generell spiele das Erben eine große Rolle: Über die Hälfte des aktuellen privaten Vermögens in Deutschland wurde geerbt.
  • Zum anderen sorge das Steuersystem in Deutschland für mehr Ungleichheit beim Vermögen. "Es gibt kein Land, das Einkommen auf Arbeit so stark besteuert wie Deutschland, aber Vermögen und Einkommen durch Vermögen so gering", sagt Marcel Fratzscher. Auch müsse häufig keine Erbschaftssteuer bezahlt werden.

DIW-Chef Marcel Fratzscher hält die hohe Vermögensbildung bei relativ wenigen Menschen an sich noch nicht für problematisch. Denn oft seien die Vermögen in Familienunternehmen gebunden, die viele Arbeitsplätze schafften. Das Vermögen würde in diesem Fall einen gesellschaftlichen Nutzen erfüllen.

"Viele können nicht sparen. Da sehe ich ein riesiges Problem."
Marcel Fratzscher, Ökonom

Sowohl aus einer Gerechtigkeitsbetrachtung als auch ökonomisch ist laut Fratzscher das eigentliche Problem, dass fast ein Drittel aller Deutschen überhaupt kein Vermögen besitzt. Und das liege in erste Linie daran, dass viele nicht sparen können, weil ihr Einkommen zu gering ist.

"Wir haben einen ungewöhnlich großen Niedriglohnbereich", sagt Marcel Fratzscher, "Menschen, die so arbeiten, brauchen jeden Euro, um ihren Alltag bestreiten zu können. Die können nichts sparen."

Das bedeute für viele Menschen zum Beispiel in Zeiten wie einer Corona-Krise finanzielle Nöte: "Wenn Ihnen das Einkommen wegbricht, dann brauchen Sie selbst die Möglichkeit, auf Erspartes zurückgreifen zu können. Die fehlt bei vielen einfach."

Höhere Einkommen, mehr Unterstützung

Marcel Fratzscher hält zwei Veränderungen für wirkungsvoll:

  • höhere Arbeitseinkommen
  • mehr Unterstützung beim Sparen durch den Staat

Letzteres könnte zum Beispiel ähnlich des Riester-Modells gestaltet sein: Werden zum Beispiel jeden Monat 50 Euro gespart, legt der Staat einen gewissen Betrag oben drauf.

Für sinnvoll hält Marcel Fratzscher auch die Unterstützung beim Kauf einer Immobilie. Dies würde allerdings mehr der Mittelschicht nützen als Menschen mit sehr geringem Einkommen.

Schwierig ist aus Fratzschers Sicht eine höhere Vermögensabgabe – denn die würde den Geringverdienern nicht direkt etwas nutzen. In dem Fall müsste sich die Politik Transfermodelle ausdenken, etwa ein höheres Kindergeld.

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Shownotes
Studie zu Vermögensverteilung
Ein Drittel aller Deutschen hat nichts gespart
vom 15. Juli 2020
Moderatorin: 
Sonja Meschkat
Gesprächspartner: 
Marcel Fratzscher, Leiter des DIW und Professor für Makroökonomie an der Humboldt-Universität zu Berlin