Im Libanon wird im Mai ein neues Parlament gewählt. Junge Menschen verlassen seit Jahren das Land, weil sie keine Zukunft sehen. Warum es für die Opposition schwer ist, sich gegen alte Machtstrukturen durchzusetzen.
Der Libanon ist nicht unbedingt ein Land, das regelmäßig Thema in den deutschen Nachrichten auftaucht. Einige erinnern sich vielleicht noch an die Explosionskatastrophe von 2020 in der Hauptstadt Beirut. Damals wurden mindestens 207 Menschen getötet und weite Teile der Stadt zerstört.
Das Unglück rief Massenproteste gegen die Regierung hervor, der Misswirtschaft und Korruption vorgeworfen werden. Bis heute ist die Lage im Libanon angespannt und Bewohner*innen sind unzufrieden mit der Politik in dem Mittelmeerstaat.
Mitte Mai finden Wahlen statt. Dass die Bevölkerung dem seit 2016 regierenden Präsidenten Michel Aoun einen Denkzettel verpassen wird, ist unwahrscheinlich – aber nicht ausgeschlossen.
Hanna Voß arbeitet für die Berliner Rosa-Luxemburg-Stiftung in Beirut. Sie sagt, dass junge Libanesen und Libanesinnen nicht glauben, dass die Wahl grundlegend etwas an den Zuständen im Land ändern kann.
"Wenn ich ehrlich bin, sind die jungen Libanes*innen, mit denen ich Zeit verbringe, nicht sonderlich optimistisch. Ich habe das Gefühl, dass alle spüren, dass es mehrere Wahlperioden brauchen wird, um ein System, das sich über so viele Jahrzehnte derart festgesetzt hat, tatsächlich zu überwinden", erklärt Hanna Voß.
Je näher die Wahlen kommen, desto stärker spüre sie, mit welchen Ressourcen die Altparteien arbeiten. Es würden Kampagnen gegen neuere Gruppen mit unabhängigen Kandidat*innen gefahren.
Alte Parteien gehen gegen aufstrebende Kandidat*innen vor
2019 entstanden im Zuge der Protestbewegungen Revolutionsbewegungen gegen die Regierenden. Die alten Parteien würden gegen die aufstrebenden Kandidat*innen vorgehen, um ihre eigenen Leute wieder in die Spur zu bringen: "Das sind ganz leichte Methoden: Man gibt den Leuten Brot oder Geld zu einem besseren Kurs aus."
Hanna Voß glaubt, dass die Opposition noch zu ausgefranst arbeitet, um an den Strukturen im Land etwas ändern zu können. Deswegen verlassen viele Menschen – vor allem junge Libanesinnen und Libanesen – das Land.
"Junge Libanesinnen und Libanesen setzen nicht viel Hoffnung in ihre Zukunft und verlassen das Land."
Hanna Voß sieht einen Zusammenhang mit der Finanz- und Wirtschaftskrise im Libanon. Es sei die schlimmste Krise in der Geschichte des Landes. Weil sich die alte Elite auf ganz wenige Wirtschaftsbereiche wie Tourismus und Bankensektor konzentriert, werden Sektoren, in denen junge Libanesinnen und Libanesen arbeiten könnten, vernachlässigt.
Beispielsweise sei der komplette öffentliche Dienst von Korruption zersetzt. In solchen Arbeitswelten sieht kein Mensch seine Zukunft, erklärt Hanna Voß. Demgegenüber steht, dass die Menschen ihr Land lieben: "Viele haben eine große Familie und würden gern bleiben. Sie fragen sich aber: Wofür lohnt es sich zu bleiben? Das Land bietet mir nichts."
Hoffnung durch Protestbewegung
Für die Zukunft des Libanons hat Hanna Voß dennoch Hoffnung. Sie verweist auf die Uprising-Proteste, die sich erstmals im Herbst 2019 zusammenfanden, um gegen sich gegen die bestehenden Machtverhältnisse aufzulehnen: "Hunderttausende Menschen verschiedener Religionen fanden sich zusammen und gingen auf die Straße. Sie verstanden sich als Bürger*innen ihres Landes und nicht mehr als Schiiten oder Sunniten. Erstmals fühlten sich gemeinsam als Libanesen und forderten mehr Rechte."
Gemeinschaftsgefühl seit Explosion
Dieses gemeinsame Gefühl ließe sich nicht mehr aus dem kollektiven Gedächtnis verdrängen. Auch die Explosion 2020 sei etwas, das die Leute im Libanon zusammenschweißt.
"So schrecklich es auch war", sagt Hanna Voß, "zumindest ist die Explosion etwas gewesen, das die Menschen merken ließ: 'Unsere Leute da oben verweigern uns nicht nur Bürgerrechte, sondern gefährden auch bewusst unser aller Leben.'"
Viele junge Menschen im Libanon fordern daher ihre Eltern auf, nicht mehr die alten Eliten zu wählen. Ob das klappt, wird sich im Mai zeigen.