Aus 736 mach 598: Um den Bundestag wieder zu schrumpfen, hat die Ampelkoalition einen Reformvorschlag vorgelegt. Die Ausgleichs- und Überhangmandaten sollen ersatzlos gestrichen werden.
Mit 736 Personen sitzen im Bundestag aktuell 138 Personen mehr als eigentlich gesetzlich vorgesehen – das deutsche Parlament ist zu einem der größten der Welt angewachsen. Die Folge sind explodierende Kosten und ein schwierigeres Arbeiten. Schuld am Riesenparlament sind die Überhang- und Ausgleichsmandate. Diese haben bei den letzten Wahlen dafür gesorgt, dass der Bundestag immer größer wurde.
Wie es bisher geregelt wird
Eigentlich soll der Bundestag 598 Abgeordnete haben: 299, die über die Wahlkreise direkt gewählt werden, und noch einmal 299, die über das Ergebnis der Zweitstimme bestimmt werden. Die Zweitstimme bestimmt aber auch ganz allgemein, wie die Sitze unter den Parteien im Bundestag aufgeteilt sind.
Nun passiert es aber immer wieder, dass Parteien über die Erststimme mehr Mandate holen, als ihnen nach dem Zweitstimmen-Ergebnis im Bundestag an Sitzen eigentlich zustehen. Die Gewinner*innen dieser Direktmandate ziehen bisher trotzdem in den Bundestag ein – das sind die Überhangmandate. Damit die (laut der Zweitstimmen festgelegte) Verteilung aber auch für alle Parteien gerecht bleibt, bekommen diese im Gegenzug mehr Sitze dazu – das sind die Ausgleichsmandate.
"Die Reform will den Ausgleichs- und Überhangmandaten an den Kragen. Sie sollen ersatzlos wegfallen."
In der Reform, die SPD, Grüne und FDP planen, soll es den Ausgleichs- und Überhangmandaten an den Kragen. Sie sollen ersatzlos gestrichen werden.
Wording: "Wahlkreisstimme" und "Hauptstimme"
Stattdessen will die Ampelkoalition der Erst- und Zweitstimme eine neue Bedeutung verleihen: Die Erststimme soll in Zukunft "Wahlkreisstimme" heißen und die Zweitstimme "Hauptstimme". Und zur Vereinfachung soll nur noch die Hauptstimme darüber entscheiden, wie viele Abgeordnete für eine Partei in den Bundestag einziehen.
"Zur Vereinfachung soll nur noch die Hauptstimme darüber entscheiden, wie viele Abgeordnete für eine Partei in den Bundestag einziehen."
Das wäre eine effektive Lösung, was die Zahl der Sitze betrifft. Dann könnten nämlich gar nicht mehr als 598 Abgeordnete ins Parlament einziehen.
Zahlreiche Gewinner*innen von Direktmandaten würden allerdings in die Röhre schauen. Denn wenn eine Partei weniger Zweitstimmen als Erststimmen (also Wahlkreise) gewonnen hat, dann müssten die Politiker*innen auf den Bundestag verzichten, die in den Wahlkreisen die prozentual schlechtesten Ergebnisse eingefahren haben, obwohl sie eigentlich gewonnen haben.
"Ein gewonnener Wahlkreis ist nach dem Vorschlag der Ampelkoalition keine Garantie mehr für einen Sitz im Bundestag."
Bei der Bundestagswahl 2021 gab es insgesamt 138 Überhang- und Ausgleichsmandate (Union: 41, SPD: 36, Grüne: 24, FDP: 16, AfD: 14, Linke: 7). Der Verzicht auf sie würde alle Parteien treffen. Am meisten profitiert davon haben aber bisher die Unionsparteien. Der Widerstand von dort kam prompt: "Gewählten Wahlkreiskandidaten das Mandat zu verweigern, ist eine eklatante Missachtung des Wählerwillens und des Rechtsstaats- und Demokratieprinzips", sagte zum Beispiel Stefan Müller, der parlamentarische Geschäftsführer der CSU.
Natürlich können sich aber auch die Abgeordneten der Ampelparteien ausrechnen, ob sie – mit dem neuen System – noch im Bundestag wären. Auch dort dürfte der Vorschlag, den die Regierungsparteien prinzipiell mit einfacher Mehrheit durch den Bundestag bringen können, also nicht auf ungeteilte Zustimmung stoßen.