Mindestlohn oder nicht mal das: Im Gastrogewerbe sind viele auf das Trinkgeld angewiesen – oder sehen es als eine Art Schmerzensgeld für den oftmals harten Job. Auch Friseure und Friseurinnen rechnen mit einem regelmäßigen Trinkgeld. Kurzfristig hilft das, doch Trinkgeld fließt nicht in die Rentenkasse.

Barkeeper Ali ist sich sicher, dass viel weniger Menschen in der Gastronomie tätig wären, gäbe es kein Trinkgeld. Für ihn macht das Trinkgeld rund ein Drittel seines Verdienstes aus.

Für andere, die in der Gastronomie arbeiten, macht das zusätzliche Geld sogar deutlich mehr aus. Nämlich zwischen 50 und bis zu 150 Prozent der Gesamteinkünfte, berichtet eine Gastro-Mitarbeiterin unserer Reporterin Krissy Mockenhaupt.

"Nur mit dem Gehalt, was ich aufs Konto überwiesen bekomme, würde ich mein Leben nicht finanziert bekommen. Es würde vielleicht gerade gehen, aber ich könnte mir nichts zur Seite legen oder kaum."
Johanna, Friseurin

Aber im Prinzip ist das Trinkgeld nicht dafür gedacht, dass es die Lebensgrundlage sichert, denn das sollte durch den Stundenlohn oder das Gehalt abgedeckt sein.

So sieht es jedenfalls Jürgen Benad, er ist Geschäftsführer des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga), also eines Branchenverbandes der Arbeitgeber*innen. Er meint: Dank Mindestlohn und Tarifverträgen verdiene niemand so schlecht, dass er oder sie auf das Trinkgeld wirklich angewiesen sei.

"Die Arbeitgeber müssen auskömmliche Löhne zahlen, dass die Menschen davon leben können."
Karin Vladimirov von der Gewerkschaft "Nahrung Genuss Gaststätten"

In diesem Punkt widerspricht ihm allerdings die Gewerkschafterin Karin Vladimirov von der Gewerkschaft "Nahrung Genuss Gaststätten" (NGG).

Einhaltung der Tarife und Mindestlöhne wird selten kontrolliert

Viele Arbeitgeber*innen hielten sich nicht an die Branchentarife – und einige nicht mal an den Mindestlohn, sagt die Gewerkschafterin. Da würden Überstunden schwarz bezahlt oder Schlupflöcher genutzt. Es gebe einfach zu wenige Kontrollen, meint sie.

"Da bin ich eindeutig für das Trinkgeld, weil es einfach auch ein Feedback vom Kunden ist und dementsprechend ist es nicht einfach nur Geld, sondern es zeigt auch einfach die Zufriedenheit."
Mitarbeitende aus dem Dienstleistungsbereich

Die Entlohnung hochzusetzen und dafür die Trinkgelder ganz abzuschaffen, dagegen sprechen sich viele aus der Dienstleistungsbranche aus, mit denen unsere Reporterin gesprochen hat. Einen Bonus direkt bar auf die Hand zu bekommen, macht für einige auch den Reiz in der Gastrobranche aus. Auch, weil sie es als direktes positives Feedback der Kunden verstehen.

Weil die Löhne in der Dienstleistungsbranche generell vergleichsweise niedrig sind, plädiert Friseurin Johanna aber dafür, nicht nur das Trinkgeld beizubehalten, sondern auch die Gehälter anzuheben.

Trinkgeld hilft nur kurzfristig

Ein wichtiges Argument, das die Gewerkschafterin Karin dazuliefert: "Trinkgeld zahlt keine Steuern." Denn das Trinkgeld ist steuerfrei, man muss keine Abgaben darauf zahlen. Das sei aber auch ein Problem, denn es fließe beispielsweise nicht in die Berechnung der späteren Rentensätze mit ein.

"Ich fände aber auch eigentlich einen noch besseren Lohn zusätzlich dazu auch wichtig."
Johanna, Friseurin

Wenn man das Trinkgeld abschaffen würde, müsste man die Stundenlöhne deutlich erhöhen, damit sich Mitarbeitende trotzdem noch finanzieren könnten. Dass auch die Kund*innen das in der Regel nicht wünschen, zeigen beispielsweise Umfragen aus den USA und Israel: Die Kundschaft zahlt lieber ein Trinkgeld, statt einen höheren Preis.

Shownotes
Prekäre Jobs
Ohne Trinkgeld wird es schwierig
vom 11. November 2022
Autorin: 
Krissy Mockenhaupt, Deutschlandfunk Nova