Fußball ist in der Türkei quasi Religion – und jetzt in Verruf. Denn die türkische Süper Lig steckt in einem der größten Wettskandale der Fußballgeschichte. Über 1.000 Spieler und Schiris sollen gewettet haben, auch auf eigene Spiele. Was ist da los?
Wetten ist in der Türkei ein großes Ding. In den letzten Jahren sind immer mehr Wett-Plattformen auf den Markt gekommen. Das liegt auch an der wirtschaftlichen Lage in der Türkei, erklärt die Sportjournalistin Burcu Biçer.
"Viele halten Wetten für einen Weg, an schnelles Geld zu kommen. Das ist einfach auch Ausdruck der schwierigen wirtschaftlichen Lage in der Türkei."
Das ist absolut legal – solange eben nicht die Fußballer und Schiedsrichter selbst mitmischen. Und genau das scheint in großem Stil zu passieren: Festgenommene Fußball-Stars, gesperrte Schiris, Vertrauensverlust bei den Fans – der türkische Fußball steckt im Chaos.
Der Wettskandal im türkischen Fußball zieht weite Kreise
Derzeit wird gegen Hunderte Spieler und Schiedsrichter ermittelt, erklärt Deutschlandfunk-Nova-Reporter Markus Dichmann, der den Skandal gemeinsam mit Burcu recherchiert hat.
Unter den Verdächtigen sind große Namen: Zorbay Küçük zum Beispiel, einer der bekanntesten Schiedsrichter der Türkei, oder Necep Uysal, der türkischer Nationalspieler war und bei Besiktas spielt, also einem der größten Clubs im Land. Und auch Spieler der bekannten Clubs Galatsaray und Fenerbahce wurden festgenommen.
"Irgendjemand hat unter meinem Namen Accounts angelegt und Wetten platziert. Wir haben Widerspruch eingelegt und werden gegen die Verantwortlichen vorgehen."
Insgesamt wurden 46 Spieler und Funktionäre verhaftet. Und alle streiten die Vorwürfe ab. Kein einziger gibt etwas zu – und das bei über 1.000 Verdachtsfällen gegen Spieler und Schiris. Burcu Biçer glaubt auch nicht, dass sich jemand öffentlich bekennen wird.
Es besteht schon lange Misstrauen gegen den türkischen Fußball – von den Spielern und Schiedsrichtern über die Clubs bis hin zum Verband. Wenn die Vermutungen sich als wahr herausstellen, dann müsste im türkischen Fußball mächtig aufgeräumt werden, sagt Markus Dichmann, "und wer weiß, wie die ja auch echt heftig organisierte türkische Fanszene dann reagieren würde."
Wettskandal: Spieler und Schiris sind nicht die Wurzel des Problems
Es ist gut, dass es die Untersuchungen gibt, sagt unser Reporter. Und auch Beobachter*innen sehen das so. Der Anwalt und türkische Vertreter am Internationalen Sportgerichtshof in Lausanne Emin Özkürt etwa: "Wir brauchen nicht darüber streiten, wie notwendig diese Untersuchung ist. Die Öffentlichkeit verlangt das." Es sei richtig, das jetzt sofort zu untersuchen – laufende Saison hin oder her.
"Wir haben es hier mit einem chronischen Problem des türkischen Fußballs zu tun. Das kommt jetzt zwar alles mitten in der Saison, aber es gut und richtig, das jetzt sofort zu machen."
Die Sportjournalistin Burcu Biçer bezweifelt allerdings, dass die Untersuchung einen echten Neustart bringen wird. Denn die Ursache des Problems seien nicht die Spieler oder Schiris, sondern Sportwetten als wirtschaftliche Macht und die finanziellen Interessen der Verbände, die in dem Geschäft mitmischen.
"Wenn ich daran denke, wie präsent auch die Werbung fürs Wetten in den Stadien und in den Fernsehübertragungen ist, dass sogar der Verband Werbeverträge mit den Wettanbietern hat, dann sind die Spieler und die Schiedsrichter nicht die Wurzel des Problems."
"Die Türkei muss ehrlich und offen diskutieren, wie wir den Fußball wieder als öffentliches Gut für alle schützen können, und ihn nicht privaten Interessen überlassen", sagt sie. "Und dafür muss erst mal wieder der Glaube an einen fairen Wettbewerb hergestellt werden", ergänzt Markus.
