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In Rom läuft die Wiederaufbau-Konferenz für die Ukraine – vor Ort herrscht weiter Krieg. Karsten ist trotzdem hingezogen und hilft Firmen beim Aufbau. Doch wie soll das gehen, wenn Sirenen heulen, der Strom ausfällt und es an Fachkräften fehlt?

So hart es klingt: Nach über drei Jahren sind viele Menschen in der Ukraine daran gewöhnt, dass Krieg Teil des Alltags ist und können sogar noch lachen. "Wir haben einen Witz: In der Ukraine gibt es flexible Arbeitszeiten – wenn du überlebt hast, gehst du zur Arbeit. Wenn dein Büro zerbombt wurde, arbeitest du eben von zu Hause", erzählt die Journalistin Anna Kosjuchenko.

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Humor ist für manche ein Weg, mit belastenden Situationen umzugehen. Wer in einem Land lebt, das jeden Tag beschossen wird, lacht nicht wirklich, sondern denkt eher darüber nach: Bleibe ich hier, oder gehe ich weg.

Karsten ist Unternehmensberater aus Berlin und hat es andersrum gemacht. Vor gut zwei Jahren ist er mit seiner Familie in die Ukraine gezogen.

Der Krieg ist omnipräsent

Karstens Frau ist Ukrainerin, beide haben sich in Berlin kennengelernt und wollten immer, dass ihre Kinder auch in der Ukraine leben und zur Schule gehen, erzählt er. Die Ukraine sei ihre zweite Heimat.

Mit Kriegsbeginn standen andere Dinge im Vordergrund, doch nach dem ersten Jahr hätten sie entschieden, es trotzdem zu versuchen. Die Familie seiner Frau lebt in der Westukraine, weit weg von der Front. Seit zwei Jahren wohnen sie dort – mit der Option, im Notfall zurück nach Berlin zu gehen.

"Wenn man draußen ist und ein toter Mensch nach Hause gebracht wird, im Kühltransporter, ist das eine unglaublich bewegende Szene."
Karsten Lehmann, lebt mit seiner Familie in der Ukraine

Karsten berichtet von vielen erschütternden Momenten. Besonders einprägsam sei es, wenn ein toter Mensch im Kühltransporter heimgebracht werde. Dann halte der Verkehr an, Menschen steigen aus, knien sich nieder – ein stilles Gedenken, das den Krieg plötzlich ganz nah bringe.



Oft gebe es mehrmals täglicher Luftalarm. Manchmal werde auch die Stadt angegriffen, dann sei Luftabwehr zu hören. Schlimmeres passiert sei glücklicherweise noch nicht.

"Natürlich hat man in dem Augenblick eine riesige Angst und denkt, was mache ich hier", sagt Karsten. Doch nach dem Alarm gehe das Leben weiter. Der Feind wolle die Moral und den Durchhaltewillen der Zivilbevölkerung brechen, das dürfe nicht passieren.

In Rom wird über den Wiederaufbau verhandelt – trotz des heftigen Kriegs. Für Karsten wirkt das nicht zynisch, sondern notwendig: Es gebe den Menschen Perspektive, sei für die Wirtschaft essenziell. Viel wichtiger bleibe aber, dass der Krieg endlich endet.

Wiederaufbau im Krieg: Notwendigkeit statt Symbol

Sabine Adler ist langjährige Korrespondentin in der Ukraine und in Russland und betont: Gerade wegen der heftigen russischen Drohnenangriffe werde an Wiederaufbau gedacht – auch wenn das widersprüchlich klinge. Zerstörungen müssten sofort beseitigt werden, etwa Stromleitungen oder Straßen, damit der Alltag funktioniere und Feuerwehr und Krankenwagen durch die Straßen kommen zum Beispiel.

Ziel sei es auch, weitere Fluchtbewegungen zu verhindern und das Leben in den beschossenen Städten möglich zu halten. Neben der Zivilbevölkerung müsse zudem die Armee versorgt und verteidigungsfähig gehalten werden – Wiederaufbau sei daher nicht nur Symbol, sondern Notwendigkeit.

Vernetzung, Versorgung und nachhaltige Energie

Die Konferenz in Rom beschreibt Sabine als eine Art Kontaktbörse: Vertreter von Verwaltungen treffen dort auf Unternehmen und Kreditinstitute. Es gehe um Vernetzung und konkrete Projekte für den Wiederaufbau, etwa in der Energieversorgung.

"Man muss Kraftwerke stärker dezentralisieren, kleinere Einheiten schaffen, dass man nicht so verwundbar ist."
Sabine Adler, DLF-Osteuropakorrespondentin

Vergangenes Jahr lag der Fokus auf Infrastruktur wie Strom- und Heizkraftwerken, die gezielt angegriffen wurden – etwa jüngst in Kiew. Nun gehe es auch darum, nachhaltiger zu denken: kleinere, dezentrale Einheiten, mehr erneuerbare Energien, um die Verwundbarkeit zu verringern.

Kredite und Absicherungen – aber kein Schutz für Leben

Die Ukraine erhofft sich von der Konferenz konkrete Partnerschaften für den Wiederaufbau: etwa bei der Beseitigung von Trümmern oder bei nachhaltiger Stadtplanung, der Hitzeschutz mitdenkt. Gesucht werden Firmen und Fachleute, die solche Projekte umsetzen.

"In ein Land zu investieren, in dem Krieg herrscht, ist ein großes Problem. Es gibt Unternehmer, die sagen: 'Wir gehen das Risiko ein"'.
Sabine Adler, DLF-Osteuropakorrespondentin

Es geht auch um Investitionen und Kredite: Laut Weltbank belaufen sich die Kriegsschäden auf 500 Milliarden US-Dollar. Investitionen in ein Kriegsland sind riskant, doch mit Kredit- und Absicherungszusagen – etwa von westlichen Staaten – wird es etwas leichter, die Finanzierung für Unternehmen abzusichern. Nicht absichern lässt sich das Leben der Mitarbeitende vor Ort, so Sabine.

Fachkräfte im Krieg, Ausland oder tot

Karsten berichtet, dass ukrainische Betriebe mit viel Durchhaltewillen und Kreativität arbeiten. Gerade wegen der Notlage entstünden oft auch kreative und innovative Lösungen – nicht nur im Rüstungsbereich, sondern in vielen Branchen.

"Es fehlen Fachkräfte. Durch den Krieg sind viele Menschen beim Militär oder im schlimmsten Fall leben Sie nicht mehr."
Karsten Lehmann, lebt mit seiner Familie in der Ukraine

Ein großes Problem sei der Fachkräftemangel – viele Menschen seien beim Militär, im Ausland oder ums Leben gekommen. Hinzu komme die Unsicherheit: In oft angegriffenen Regionen wie Kiew fehle die Perspektive, ob Büro oder Fabrik am nächsten Tag noch stehen.

Karsten ist überzeugt, dass die Ukraine nach dem Krieg eine wichtige Rolle in Europa spielen werde – auch wirtschaftlich. In manchen Bereichen, etwa der Digitalisierung, sei sie jetzt schon Vorbild.

"Wenn der Krieg zu Ende ist, kann die Ukrainer für Europa in vielem Vorbild sein, beispielsweise was Digitalisierung angeht."
Karsten Lehmann, lebt mit seiner Familie in der Ukraine

Das Land habe viele Entwicklungsschritte übersprungen – etwa bei der Digitalisierung. Eine App, mit denen man die meisten Behördengänge von zu Hause aus erledigt ist nur ein Beispiel. Auch im Verteidigungsbereich könne Europa viel lernen – der Krieg, der heute geführt werde, habe nichts mit dem zu tun, was noch in alten Handbüchern stehe.

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  • Unboxing News
  • Moderation: Nik Potthoff
  • Gesprächspartner: Karsten Lehmann, Unternehmensberater, lebt mit seiner Familie in der Ukraine
  • Gesprächspartnerin: Sabine Adler, DLF-Osteuropakorrespondentin