Die individuelle Zeitwahrnehmung hängt eng mit der Selbstwahrnehmung zusammen. Zeitforscher Marc Wittmann erklärt, wie wir uns das vorstellen können.

Sekunden, Minuten, Stunden können Tage, Wochen und Jahrzehnte sein – jedenfalls, wenn es nach dem individuellen Zeitgefühl geht. Routinen lassen die Zeit gefühlt rascher vergehen, sagt Zeitforscher Marc Wittmann. Umgekehrt gilt: "Je mehr ich erlebt habe, je emotionalere Dinge ich erlebt habe, desto länger streckt sich die Zeit."

"Wir haben vielleicht vor allem durch die digitalen Medien verlernt zu warten."
Marc Wittmann, Zeitforscher, Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene, Freiburg

Smartphones hätten uns vielleicht das Warten verlernen lassen, meint Marc Wittmann. Seiner Beobachtung nach schauen die meisten Leute auf ihr Handy, auch wenn sie nur eine Busfahrt von sieben Minuten vor sich haben.

"Mit dem Smartphone geht es nie zu Ende. Wir können uns immer unterhalten lassen."
Marc Wittmann, Zeitforscher, Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene, Freiburg

Wenn wir im Fluss der Dinge sind, sagt er, achten wir nicht auf die Zeit. "Wir verlieren uns selbst in diesen Tätigkeiten, und deswegen haben wir auch gar kein Zeitgefühl", so beschreibt es der Zeitforscher.

Selbst- und Zeitwahrnehmung

Eine besondere Rolle kommt dabei der Wahrnehmung der eigenen Person zu. Wer völlig auf eine Tätigkeit fokussiert ist, auf Arbeit, Sport oder ein Hobby beispielsweise, nehme sich selbst kaum wahr. Die Zeit vergehe dann üblicherweise schnell.

Marc Wittmann beschreibt es so: "Die Ich-Wahrnehmung, Selbstwahrnehmung und die Zeitwahrnehmung hängen eng miteinander zusammen."

Routine als Rettung

Während der Corona-Pandemie habe sich gezeigt, dass Menschen, die sich insgesamt schlechter fühlten, mehr Angst hatten, eher den Eindruck entwickelt haben, die Zeit dehne sich. Ihnen gegenüber steht das Zeitgefühl der Menschen, die sozial gut eingebettet waren und sich mit Routinen relativ wohlgefühlt habe.

Shownotes
Zeit und Gefühl
Zeitforscher: "Ein Smartphone ist der perfekte Zeitvernichter"
vom 29. Oktober 2022
Moderatorin: 
Lena Mempel
Gesprächspartner: 
Marc Wittmann, Zeitforscher, Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene, Freiburg