Zehntausende Tote, Millionen Vertriebene – das ist die traurige Bilanz nach zwei Jahren Angriffskrieg auf die Ukraine. Sarah Easter war als Nothelferin an der Frontlinie, um die Menschen vor Ort beim Überleben zu unterstützen.
Es begann im Osten der Ukraine, aber inzwischen hat der Krieg längst das gesamte Land erreicht. In den Frontregionen ist der Großteil der Häuser beschädigt oder zerstört, erzählt Sarah Easter, die für die Hilfsorganisation Care dort war. Trotzdem leben viele Menschen in den Ruinen, in die der Winter durch jedes Loch kriecht, sagt sie. Die Thermometer zeigten in den Wohnungen nur zwei Grad an, Strom oder Wasser gebe es oft nicht.
"Sie wissen dabei nicht, ob sie angegriffen werden, auf eine Landmine treten oder ob ihr Haus noch steht, wenn sie zurückkehren. Das ist die harte Realität für Millionen von Menschen in der Ukraine."
Blaue Planen schützen die Ruinen notdürftig vor den harschen Wetterbedingungen des ukrainischen Winters, doch gegen die Kälte richten sie kaum etwas aus, erzählt sie weiter. Im Hintergrund knallen dumpf die Explosionen, sie bringen die Fensterscheiben zum vibrieren, erinnert sie sich. Bis zu sieben Mal warne die Luftsirene vor einem Angriff. Die Straßen in den Dörfern nahe der Frontsind seien anders als die in den großen Städten wie Odessa oder Nipro menschenleer.
Eine Generation von Kindern wächst im Keller auf
Sarah Easter war im Süden und im Osten der Ukraine unterwegs, um mit den Menschen zu sprechen und sie mit dem Nötigsten zu versorgen. In den ukrainischen Frontregionen leben immer noch 3,3 Millionen Menschen, sagt sie.
Die meisten von ihnen harrten in ihren Kellern aus – eine gesamte Generation an Kindern verbringt ihre Kindheit im Keller, sagt Sarah. Die Menschen lebten in ständiger Angst. So erzählt Sarah etwa von einer Frau aus Kherson, die jede Nacht auf einem Stuhl in einem kalten, kaputten Aufzugschacht ausharrt und darauf wartet, dass die Explosionen verstummen.
"Die meisten Hinterbliebenen sind ältere Menschen oder jene, die ihre älteren Verwandten versorgen. Es sind aber auch Menschen, die sich eine Flucht schlicht nicht leisten können."
Oder von Lyda und Konstantyn aus Saporischja: 100 Tage lang hätten die beiden sich in einem zwei mal zwei Meter großen, externen Keller verschanzt. Mit dabei: ihre zwei Hunde und ihre zwei Katzen. Auf die Tür hätten sie mit weißer Kreide "Menschen" geschrieben, um ihre Überlebenschancen zu erhöhen.
Eine andere Frau erzählte der Nothelferin, dass ihre neunjährige Enkelin jede Nacht bis zwei Uhr aufbleibt, um nach Explosionen zu lauschen – und gegebenenfalls die Familie zu wecken, damit sie sich in Sicherheit bringen können.
Nicht alle können fliehen
Die Zurückbleibenden sind meist Menschen, die nicht fliehen können – weil sie zu alt sind, weil sie sich um ihre Verwandten kümmern müssen oder weil sie kein Geld haben, erklärt die Nothelferin. Viele hätten zu Beginn des Krieges ihren Job verloren, weil die Unternehmen, für die sie gearbeitet haben, zerstört wurden oder in sichere Gebiete umgezogen sind.
Die humanitäre Hilfe komme in den Kriegsregionen aber an, sagt Sarah. Inzwischen habe Care 22 Partner in fast allen Teilen der Ukraine. In den vergangenen zwei Jahren konnten sie 1,4 Millionen Menschen helfen, berichtet sie. Zu Beginn stand die Versorgung und die Vermittlung von Unterkünften an Vertriebene im Vordergrund, doch inzwischen gehe es vor allem um die Verteilung von Gütern in den Kriegsregionen.
Dringend benötigt: Psychologische Hilfe
Neben der praktischen Versorgung mit Lebensmitteln, Hygieneartikeln, aber auch den Reparaturen an den zerstörten Häusern muss in Zukunft vor allem das Angebot an psychologischer Hilfe ausgebaut werden, sagt die Nothelferin. Denn die Menschen seien durch die Erfahrungen nachhaltig traumatisiert. Es gebe etwa Mütter, die ihre Kinder in Kellern zur Welt bringen, und Kinder, die in Kellern und mit Explosionen aufwachsen. Viele Menschen brauchen ein Angebot, um solche Erfahrungen zu verarbeiten, sagt Sarah Easter.