Die Anonymen Alkoholiker gelten als die größte Selbsthilfegruppe der Welt. In Deutschland wurde sie vor 70 Jahren gegründet. Es gibt inzwischen auch viele andere solcher Gruppen. Warum das hilft, erklärt Suchtexperte Johannes Lindenmeyer.

Am 1. November 1953 fand in München das erste Treffen der Anonymen Alkoholiker statt. Die Interessengemeinschaft ist Anlaufstelle für Betroffene, die mit dem Trinken aufhören wollen und auch für deren Angehörige. Millionen Menschen haben dort in den letzten 70 Jahren Hilfe gesucht.

Konzept der Selbsthilfe geht auf

Es gibt mittlerweile auch andere Anlaufstellen, um die eigene Alkoholsucht zu behandeln. Johannes Lindenmeyer ist Psychologe und Suchtforscher und behandelt alkoholkranke Menschen. Er ist froh, dass es diese Selbsthilfegruppen gibt.

"Die Anonymen Alkoholiker haben mehr Menschen geholfen, als wir Behandler je gesehen haben."
Johannes Lindenmeyer, Psychologe und Suchtforscher

Dafür gibt es mehrere Gründe. Der Suchtforscher sagt, Alkoholabhängigkeit sei etwa die mit am stärksten stigmatisierte Erkrankung. Für viele Betroffene sei es eine große Überwindung, zu ihrer Sucht zu stehen. In Selbsthilfegruppen treffen Menschen auf andere, die in der gleichen Situation sind und mit denen sie sich austauschen können.

"Denen man von dem eigenen Leben, der eigenen Person immer nur so viel erzählt, wie man erzählen will. Wo man also nicht gezwungen ist, erst mal die Hosen runterzulassen. Wo man sofort Unterstützung erfährt und merkt, man ist nicht alleine."
Johannes Lindenmeyer, Psychologe und Suchtforscher

Für Betroffene sei es außerdem gut zu wissen, dass auch berühmte und erfolgreiche Menschen in diesen Gruppen sind und nicht nur Menschen, die ganz am Rand der Gesellschaft stehen.

Ein anderer wichtiger Punkt ist, dass Betroffene bei solchen Gruppen immer Hilfe erhalten. Dem Suchtexperten zufolge passieren die meisten Rückfälle und Krisen bei der Überwindung einer Alkoholabhängigkeit nämlich abends und am Wochenende.

Selbsthilfegruppen rund um die Uhr erreichbar

Professionelle Suchthilfestellen sind zu diesen Zeiten aber meist geschlossen. Betroffene müssten aber am besten sofort Hilfe bekommen. Und die gibt es eben bei Selbsthilfegruppen. Lindenmeyer lobt außerdem, dass Süchtige in solchen Gruppen nicht nur mit ihrer Vergangenheit konfrontiert werden, sondern dass es auch um ihre Zukunft geht. Dass also nicht zu lange geredet und analysiert wird, sondern es konkrete Hilfestellung für den Alltag gibt.

"Jetzt fang ich an und nehme mir für die nächsten 24 Stunden vor, einen Punkt in meinem Leben zu ändern."
Johannes Lindenmeyer, Psychologe und Suchtforscher

Diese Orientierung auf das unmittelbar Machbare sei etwas sehr Heilsames, so der Suchtforscher. Er sagt aber auch ganz klar, nicht bei allen Menschen reiche die Selbsthilfe aus. Dann sei Psychotherapie notwendig. Trotzdem gebe es eine große Zahl an Menschen, die von Selbsthilfegruppen profitiert. Dazu gehören laut Lindenmeyer auch die Betroffenen, die vorher professionell behandelt werden und im Anschluss zusätzlich in eine Selbsthilfegruppe gehen.

Mehr Vielfalt und Online-Angebot bei Anonymen Alkoholikern

In den 70 Jahren, in denen es die Anonymen Alkoholiker gibt, hat sich aber auch einiges geändert. Lindenmeyer spricht beispielsweise von mehr Vielfalt in den Selbsthilfegruppen: Auch wenn einige Stellen noch sehr genau am Zwölf-Schritte-Programm und dem blauen Buch festhalten, gebe es inzwischen durchaus Abwandlungen.

Ein großer Gewinn ist für ihn auch, dass sich Betroffene online helfen lassen können. Bundesweit werden regelmäßig Meetings angeboten, in Präsenz aber eben auch im Netz. Außerdem gibt es eine telefonische Beratung.

Du hast das Gefühl, du trinkst zu viel und suchst Hilfe? Die Telefonberatung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung bietet unter der Nummer 0221 / 892031 eine Suchtberatung an.

Shownotes
70 Jahre Anonyme Alkoholiker
So kämpfen Selbsthilfegruppen gegen die Sucht
vom 01. November 2023
Moderatorin: 
Anke van de Weyer
Gesprächspartner: 
Johannes Lindenmeyer, Professor für Klinische Psychologie mit Schwerpunkt Rehabilitationspsychologie, Medizinische Hochschule Brandenburg