Je länger der Lockdown andauert, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir uns so richtig krass betrinken. Das legt eine neue Studie aus den USA nahe. Aber ab wann wird unser Trinkverhalten eigentlich zum Problem? Unser Reporter hat Antworten gesammelt.

Für die aktuelle Studie in den USA wurden 2.000 Erwachsene zu ihrem Alkoholkonsum im Lockdown befragt. Und demnach steigt Woche für Woche das Risiko eines exzessiven Rauschs.

Untersuchungen zum Alkoholkonsum im Lockdown

Es ist auch nicht die erste Studie, die in die Richtung deutet, dass Menschen im Schnitt mehr trinken, wenn sie – wegen der Corona-Pandemie – zuhause hocken. In Deutschland gab es zum Beispiel im Oktober eine Umfrage, nach der ein Viertel der Befragten im Lockdown mehr trinkt als vorher.

Denise Aßhoff ist Suchberaterin bei der Caritas in Berlin. Sie sagt, dass Alkohol allein schon dadurch einfacher zu konsumieren ist, weil viele von uns im Homeoffice arbeiten: Nich weit vom Schreibtisch steht vielleicht die Minibar, und die soziale Kontrolle durch Kollegen fällt weg.

"Dadurch, dass die Menschen – zum Beispiel im Homeoffice – mehr zuhause sind, ist die Verfügbarkeit von Alkohol mehr gegeben."
Denise Aßhoff, Suchtberaterin bei der Caritas in Berlin

In der Suchtberatungsstelle der Caritas Berlin häufen sich seit Beginn der Pandemie die Anfragen. Menschen melden sich zum Beispiel, weil sie unsicher sind, ob das noch normal ist, was sie trinken. Das Klientel ist dabei sehr gemischt. Unter den Menschen, die sich melden, sind Rückfällige, die schon früher wegen eines Alkoholproblems Hilfe gesucht hatten. Aber es seien auch viele Erstanfragen dabei, berichtet die Suchtberaterin.

Mögliche Gründe für mehr Alkohol: Stress, Angst, Einsamkeit

Sebastian Mueller ist Direktor des Zentrums für Alkoholforschung der Universität Heidelberg. Er sagt: Ein höheres Risiko, im Lockdown viel zu trinken, haben Menschen, die unter Depressionen leiden, die Angst vor einem Jobverlust haben oder Menschen, die einsam sind.

"Alkohol war ja auch in Vor-Corona-Zeiten schon ein bekannter Einsamkeits-Tröster."
Sebastian Mueller, Direktor des Zentrums für Alkoholforschung an der Universität Heidelberg

Es gibt Richtwerte, ab wann ein Glas "ein Glas zu viel" ist: Ein halber Liter Bier für den Mann, ein viertel Liter für die Frau am Tag. Aber auch nicht jeden Tag. Das sind statistische Werte. Zu viel wird es mit Sicherheit, wenn die ersten Anzeichen einer Sucht erkennbar sind, sagt Denise Aßhoff von der Caritas. Sie sagt, man könne das ganz einfach testen: Wenn wir etwa jeden Tag um 18 Uhr ein Glas Wein trinken, dann sollten wir einfach mal ausprobieren, was passiert, wenn wir das Getränk nach hinten verschieben. Werden wir nervös? Macht es uns etwas aus?

"Man kann sich selber testen. Ich gebe Ihnen Beispiel: Immer um 18 Uhr schütten Sie sich ein Glas Wein ein. Sie würden das heute auch wieder machen. Versuchen Sie, es nach hinten raus zu verzögern. Haben Sie da schon Probleme?"
Denise Aßhoff, Suchtberaterin bei der Caritas in Berlin

Wenn uns bei Freunden oder Freundinnen auffällt, dass sie sehr viel trinken, sollten wir das ruhig ansprechen, sagt die Suchtberaterin. Allerdings sollten wir dabei nicht zu moralisch sein, sondern ehrlich sagen, dass wir uns Sorgen machen und begründen, warum das so ist.

"Sie sollten authentisch sein, erst mal nicht zu moralisch, weil Alkohol ist leider noch sehr moralisch behaftet."
Denise Aßhoff, Suchtberaterin bei der Caritas in Berlin

Bei der Poetry-Slammerin Elisabeth Schwachulla hat das geholfen. Ihr Bruder hat sie vor einigen Jahren auf ihren starken Alkoholkonsum angesprochen. Fast jeden Tag war sie betrunken, auf jeder Party ist sie abgestürzt. Das Gespräch habe ein Umdenken bei ihr erzeugt: "Schon ziemlich lange war ich mir dessen bewusst, dass ich ein Problem habe und dachte aber, solange ich das nicht zugebe, muss ich nichts daran ändern. Und so schlimm kann es ja wohl nicht sein, sonst würden andere Leute was sagen. Und dann hab ich es ihm gegenüber zugegeben und hatte dann schon die Ansicht: Ja, Mist. Jetzt muss ich was dran ändern."

Reden und zuhören hilft

Mittlerweile ist Elisabeth seit drei Jahren trocken. Reden kann also schon einiges bewirken, zuhören aber auch. Denn, wenn der Grund für den übertriebenen Alkoholkonsum darin liegt, dass jemand viele Sorgen hat oder sich sehr einsam fühlt, dann kann ein ehrliches: 'Hey, wie gehts dir eigentlich gerade so, mit der ganzen Situation?' wirklich helfen.

Shownotes
Corona-Pandemie
Im Lockdown trinken wir mehr Alkohol als sonst
vom 08. Dezember 2020
Autor: 
Timo Nicolas