Kann man medizinisch feststellen, ob jemand 18 ist? Beim Asylverfahren von minderjährigen Flüchtlingen ohne Pass und Begleitung wird das gerade wieder heftig diskutiert. Wir haben schon vor einiger Zeit erklärt, warum die Ergebnisse solcher Untersuchungen sehr umstritten sind.

Ist es ethisch vertretbar minderjährige Flüchtlinge auf diese Weise zu untersuchen? - ist die eine Frage und die andere: Wie aussagekräftig ist dieser Alterscheck überhaupt?

Durchgeführt werden diese sogenannten Altersfestsetzungen anhand der Empfehlungen der Arbeitsgemeinschaft für Forensische Altersdiagnostik: sie gibt konkrete Hinweise, wie bei jungen Flüchtlingen das Alter bestimmt werden soll. So wird die Entwicklung der Geschlechtsorgane untersucht und die Zähne werden begutachtet. Darüber hinaus kann in bestimmten Fällen zusätzlich die Knochendichte per Röntgenbild erfasst werden.

Bis auf fünf Jahre genau

Dass die medizinische Untersuchung Erkenntnisse über das Alter einer Person erlaubt, wird weniger bestritten. Umso strittiger ist allerdings, mit welcher Genauigkeit das geschieht, sagt Wissenschaftsjournalist Thomas Liesen. Verschiedene Studien geben beispielsweise an, dass eine äußerliche Begutachtung nur bis auf fünf Jahre genau sein kann.

"Im Einzelfall kann die Abweichung bis zu fünf Jahre betragen. In einer Studie wurde ein Mädchen von einem Begutachter auf 13 Jahre geschätzt, von einem anderen auf 18.“
Thomas Liesen, Wissenschaftsjournalist DRadio Wissen

Neuste Studien bescheinigen der Knochenanalyse eine etwas größere Genauigkeit: hier beträgt die Standardabweichung 14 Monate. Jedoch ist auch dieser Wert schwierig, da er laut Studie nur für etwa zwei Drittel der Untersuchten gilt. Bei dem Rest ist der Abstand zwischen Schätzwert und tatsächlichem Alter erheblich größer. Schaut man sich eine Studie der Berliner Charité an, dann ergibt sich in der Masse einerseits eine relativ geringe Abweichung. Andererseits gab es in den Fällen, wo die Mediziner daneben lagen, deutliche Fehlschätzungen von fünf Jahren auf- und abwärts.

Im Einzelfall noch schwieriger

Problematisch aus Sicht der Forschungslage ist, dass die Untersuchung Exaktheit suggeriert: Sie kann jedoch höchstens eine Schätzung, keine echte Bestimmung sein. Die medizinischen Methoden ermöglichen nur eine sehr grobe Bestimmung, bestätigen viele unterschiedliche Studien. Und in diesen sind zumeist die individuellen Unterschiede in der Entwicklung, die sich durch Region, Ernährungszustand und eine Vielzahl anderer Faktoren ergeben, nicht einmal eingerechnet.

Am Ende entscheiden diese Schätzungen aber darüber, wie mit jungen Flüchtlingen umgegangen wird. Minderjährige Flüchtlinge werden von der Jugendhilfe betreut, dürfen zur Schule gehen und werden nicht abgeschoben.

Mehr zu Forensischer Altersdiagnostik im Netz:

Shownotes
Altersdiagnostik bei jungen Flüchtlingen
Grobe Einschätzung, konkrete Folgen
vom 07. Juli 2015
Moderator: 
Paulus Müller
Gesprächspartner: 
Thomas Liesen, Wissenschaftsjournalist DRadio Wissen