Antisemitismus im Internet ist in den vergangenen Jahren extrem angestiegen, vor allem in den Sozialen Netzwerken. Das ist das Ergebnis einer Langzeitstudie.
Für die Langfriststudie "Antisemitismus 2.0 und die Netzkultur des Hasses" haben Wissenschaftlerinnen am Institut für Sprache und Kommunikation der TU Berlin jetzt 300.000 Texte ausgewertet. Twitterbotschaften, Facebookposts oder Kommentarspalten von Onlinemedien - Texte, bei denen sich die Verfasser beim Schreiben nicht darüber im Klaren waren, dass sie irgendwann einmal genauer untersucht werden könnten.
Der Grund: Bisherige Studien zu Antisemitismus haben eher auf Umfragen und Interviews basiert. Wenn Personen zum Beispiel gefragt werden: "Würden Sie Juden als Nachbarn haben wollen?" Dann spielen bei den Antworten viele Faktoren eine Rolle, zum Beispiel auch soziale Erwünschtheit oder politische Korrektheit. Forscher gehen deswegen davon aus, dass die Ergebnisse oft unsauber sind und haben für die neue Studie auf Soziale Medien zurückgegriffen.
"Wir haben festgestellt, dass das Web insgesamt der Hauptmultiplikator für Antisemitismus in unserer Gesellschaft ist.“
Das Ergebnis der Studie: Antisemitismus ist in Sozialen Medien, Blogs und Onlinekommentaren so stark wie noch nie. Das Web 2.0 sei mittlerweile von Judenfeindlichkeit und Hass auf Israel durchdrungen. Die Antisemitismusforscherin Monika Schwarz-Friesel spricht von einem "besorgniserregenden Phänomen".
Antisemitismuskategorien
Unterschieden wurde bei der Studie nach drei Kategorien:
- Jahrhundertealter Judenhass, Stereotype, wie zum Beispiel Juden als das Fremde oder das Böse – oft bildlich dargestellt als der Wucherer mit langer Nase.
- Die zweite Kategorie wird als Post-Holocaust Antisemitismus beschrieben – eine Form des Antisemitismus, die die Schuld durch den Holocaust zurückweist.
- Eine dritte Form wird häufig unter dem Deckmantel einer Israelkritik geäußert. Menschen sagen, sie kritisieren den Staat Israel, vermischen diese Kritik aber auch mit Verallgemeinerungen und Kritik an Juden.
Forscher befürchten, dass der Hass nicht nur im Netz bleibt
Die aktuelle Studie hat nun herausgefunden, dass vor allem der "klassische, alte Judenhass" zugenommen hat. Manchmal wird er vermischt mit Israelbezügen. Die Autoren der Studie äußern ihre Bedenken, dass dieser zunehmende Hass und die Hetze eben nicht nur im Netz bleiben werden, sondern in der Folge auch in der realen Welt zunehmen könnten.
Monika Schwarz-Friesel von der TU Berlin denkt, dass in diesem Zusammenhang auch eine gewisse Normalisierung von Antisemitismus weiter fortschreiten könnte. Denn auch das haben die Forscher bei der Analyse der Kommentare und Texte im Netz beobachtet: Antisemitismus hat in der virtuellen Welt eine neue Stufe der Normalität und Akzeptanz erreicht.
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