Traditionell gehören Stress und Karriere zusammen. Dem wollen sich allerdings nur wenige Beschäftigte aussetzen. Und selbst manche Chefin mancher Chef ist damit nicht so richtig glücklich. Ein Blick auf den aktuellen Report der Initiative Chefsache.
Knapp zwei Drittel der Erwerbstätigen wollen nicht mehr Führungsverantwortung. Hinzu kommt, dass zehn Prozent der Leute, die in einer Führungsposition sind, etwas von ihrer Verantwortung loswerden wollen. Das ergibt der aktuelle Report der Initiative Chefsache.
Verantwortlich für die Veröffentlichung ist die Unternehmensberatung McKinsey & Company. Die Befragung ist im Februar 2022 mit 1688 Berufstätigen zwischen 18 und 69 durchgeführt worden, die mindestens zehn Stunden wöchentlich arbeiten oder in Elternzeit sind.
"Also auf die Frage hin möchte ich Führungsverantwortung haben, ja oder nein, ist tatsächlich immer weniger Appetit."
Die Initiative Chefsache ist ein Netzwerk von Führungskräften aus Wirtschaft, Wissenschaft, öffentlichem Sektor und Medien, das sich für Chancengerechtigkeit von Frauen und Männern einsetzt.
Berufsideale im Wandel
Die Initiative will neue Konzepte für Arbeit und Karriere voranbringen. Sie vertritt die Auffassung, dass das klassische Bild von Berufsleben und Karriereleiter nicht mehr zu dem passe, was viele Menschen wünschen und anstreben.
"Wenn nichts getan wird, verliert ein Unternehmen seine Top-Talente. Da werden Unternehmen wach. Es ist wirklich eine Generation von zukünftigen Führungskräften, die sagt: So möchten wir nicht arbeiten, so möchten wir nicht Karriere machen."
Die Initiative sieht eine implizite Pflicht zur Veränderung bei den Unternehmen. Sie fänden sonst kein Führungspersonal mehr. Die Corona-Pandemie habe diesen Trend zur Führungsvermeidung noch verstärkt.
Ein bisschen Führung und viel Stress
Konkret vom Führen halte viele Menschen die Sorge ab, dass so eine Position nur mit sehr viel Arbeitsstunden zu machen ist. Die Hälfte der befragten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gibt an, keine Führungsposition anzustreben, weil diese mit zu viel Stress verbunden sei. Ihre Vorstellung von Zeitgestaltung seien damit eher nicht vereinbar.
"Viele wollen aber eigentlich weniger arbeiten, mehr Teilzeit, flexible Arbeit, Home-Office-Optionen, mehr Zeit haben für Familie und Privatleben."
Aus der Befragung ergibt sich außerdem, dass für die Hälfte der Befragten zu einem erfolgreichen Berufsleben nicht unbedingt eine Führungsposition gehört. Verena sagt: "Deshalb hat die klassische Karriereleiter mit viel Stress und 60-Stunden-Wochen stark an Attraktivität verloren."
Dieses Bild zeigt sich auch bei den Führungskräften selbst. Rund zehn Prozent in dieser Gruppe möchten gerne weniger Verantwortung im Job. Ergänzt wird dieser Wunsch durch das Gefühl, kaum Einfluss auf den Führungsstil in Unternehmen zu haben.
Beidseitige Verantwortung
Zwar seien hier beide Seiten gefordert, findet Julia Sperling-Magro. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sollten früh klarmachen, was ihnen wichtig ist, Vorstellungen und Karrierewünsche möglichst präzise äußern.
Die Unternehmen müssten die Arbeit in Führungspositionen verändern, für geringere Arbeitszeitbelastung, mehr Flexibilität und weniger Präsenzpflicht sorgen. Verena vermutet, dass auch flachere Hierarchien helfen könnten, bei denen die Verantwortung stärker verteilt wird.
"Die Unternehmen sind sonst am Ende die gekniffenen, wenn sie keine guten Leute mehr kriegen"