Bald ist endgültig Schluss mit den Atomkraftwerken in Deutschland. Aber immer noch nicht für alle. Es gibt gute Gründe, Forschungsreaktoren laufen zu lassen.

Wenn am 15. April endgültig die letzten Atomkraftwerke in Deutschland vom Netz gehen, wird die "Forschungs-Neutronenquelle Heinz Maier-Leibnitz" – kurz FRM II – weiterlaufen. Der Forschungsreaktor steht auf dem Gelände der Technischen Universität München. Technischer Direktor des FRM II ist Axel Pichlmaier. Der Physiker erklärt, dass FRM II mit 20 Megawatt Leistung der größte der sechs verbliebenen Forschungsreaktoren in Deutschland ist.

Der Atomausstieg habe keine unmittelbare Auswirkung auf die Anlage. Denn nur die Atomkraftwerke, die kommerziell Strom erzeugen, sind davon betroffen.

"Wir kümmern uns überhaupt nicht um Strom, wir verbrauchen ihn nur."
Axel Pichlmaier, Technischer Direktor FRM II

Vom Aufbau her ist ein Forschungsreaktor wie ein Atomkraftwerk aufgebaut, aber wesentlich kleiner, sagt Axel Pichlmaier. FRM II sei quasi wie ein halbes Atomkraftwerk, das aber im Gegensatz dazu keinen Strom erzeugt, sondern rein zu Forschungszwecken betrieben wird. Dafür werde hauptsächlich ein anderes Produkt der Kernspaltung genutzt: die Neutronen.

"Damit können wir ganz tolle Forschung jeder Art machen."
Axel Pichlmaier, Technischer Direktor FRM II

Im FRM II wird aber nicht Reaktortechnik erforscht, sondern der Reaktor wird für reine Grundlagenforschung genutzt, erklärt Axel Pichlmaier. Drei wesentliche Dinge werden dort erforscht:

  • Produktion von Radioisotopen für die Industrie und medizinische Anwendungen
  • Grundlagenforschung für verschiedene Bereiche wie Energie-, Klima- und Umweltforschung, aber auch für kulturelles Erbe und Mobilität
  • Kompetenzerhalt in der Kerntechnik in Deutschland durch eigene Anlage und eigene Ausbildung

Forschung für Mobilität

Im Bereich der Mobilität werden Membranen in Brennstoffzellen erforscht, die für Antriebe diskutiert werden, erklärt der Physiker. Dabei seien noch viele Fragen offen und ungeklärt. Mithilfe von Neutronen könne man Membranen exklusiv und ausschließlich sehr gut analysieren.

Bei Flugzeugen beispielsweise lagert sich mit der Zeit Wasser in der Isolierung der Kabine ein. Dadurch werden sie immer schwerer. Mit Neutronen könnten diese Prozesse besser verstanden und so die Isolierung verbessert werden.

Für Elektromobilität werden Lithium-Ionen-Akkus verwendet. Mit Neutronen könne man besser verstehen, warum ein Akku altert und nicht mehr die volle Leistung bringt.

Auswirkungen des Atomausstiegs

Mittelbar könnte es durch den Atomausstieg zu Versorgungsengpässen bei der Zuliefererindustrie für die Forschungsreaktoren kommen. Denn wenn nur noch die Forschungsreaktoren als Abnehmer in Deutschland verbleiben, könnten sich die Zuliefererbetriebe aus dem Bereich zurückziehen, weil die Nachfrage zu gering sein könnte. "Wir müssten uns dann auch nach neuen Versorgungspfaden umschauen", sagt Axel Pichlmaier. Das könnte teurer werden.

"Es gibt viele Dinge, die man - Stand heute - einfach nur mit Forschungsreaktoren untersuchen kann."
Axel Pichlmaier, Technischer Direktor FRM II

Ohne die Forschungsreaktoren gehe es aber nicht mehr, meint der Technische Direktor des FRM II. Viele Dinge könnte man heute nur noch mit Forschungsreaktoren untersuchen. Die Silizium-Dotierung für Halbleiter in großen Bauteilen wie für die Hochstrom-Gleichspannung-Übertragung von der Küste nach Süddeutschland sei ohne Forschungsreaktoren nicht machbar. Auch bestimmte Bauteile für E-Autos könnten nur mit Neutronen hergestellt werden, wofür Forschungsreaktoren gebraucht werden.

Shownotes
Atomausstieg
Atomkraft - Warum Forschungsreaktoren weiterlaufen
vom 11. April 2023
Moderator: 
Christoph Sterz
Gesprächspartner: 
Axel Pichlmaier, Technischer Direktor FRM II