Jahrzehntelang hat die Atomenergie Menschen polarisiert. Nicht nur bei uns, vor allem auch in Frankreich und Amerika. Zwar hat Deutschland inzwischen das Ende dieser Energieform beschlossen, aber der gefährliche Atommüll wird bleiben. Wie damit umgehen? Mit diesen Fragen beschäftigen sich Dieter Rucht, Reinhard Dalchow und Wolfgang Ehmke in ihren Vorträgen.

Am Anfang standen Hiroshima und Nagasaki. Der mehr als hunderttausendfache Mord in Japan am Ende des Zweiten Weltkrieges durch die Atombombe hat sich tief ins Bewusstsein der Menschen verankert. So tief, dass der 34. Präsident der Vereinigten Staaten, Dwight D. Eisenhower die Meinung einer ganzen Nation damals "umdrehen" wollte. Sein Ziel: die Kernenergie wirtschaftlich nutzen. So jedenfalls bewertet Dieter Rucht die Rede Eisenhowers unter dem Titel "Atoms for Peace" im Jahr 1953.

"Da drückte sich die Schwierigkeit aus, die Mentalität der Leute, die diese Vernichtungen im Blick hatten, quasi umzupolen."

Wolfgang Ehmke ist entschiedener Gegner der Atomkraft und bei vielen Protesten der vergangenen Jahrzehnte dabei gewesen. Harrisburg, Tschnernobyl, Fukushima: Ehmke benennt diese drei Unglücke, die den Anti-Atomkraft-Bewegungen in die Karten gespielt hätten. Durch diese Katastrophen sei schließlich der Durchbruch in die Zivilgesellschaft geglückt. Nicht nur gegen das AKW Brokdorf ist er aufgestanden, als sich Zehntausende mit ihm gemeinsam zur Wehr gesetzt haben – auch gegen die Polizei.

"Was sich eingegraben hat in mein Gedächtnis: Mit welcher Härte die berittene Polizei gegen die Menschen vorging."

In der Mitte des Demonstrationsplatzes, so schildert Wolfgang Ehmke, habe ein Pastor im Talar gestanden, den die Polizisten einfach niedergeritten hätten. Nach den Brokdorf-Demonstrationen hat sich auch aus der Polizei heraus eine Gruppe kritischer Beamter gebildet, die mit der Vorgehensweise des Staates nicht einverstanden waren. Teile des Polizeieinsatzes wurden im Nachhinein sogar per Gerichtsbeschluss als rechtswidrig eingestuft.

Meiler werden abgeschaltet – giftige Abfälle bleiben

2021 wird Brokdorf endgültig Geschichte sein, wenn das Kraftwerk abgeschaltet werden muss. Wie alle deutschen Meiler bis 2022. Doch was passiert mit den hochgiftigen radioaktiven Abfällen?

Reinhard Dalchow befürchtet, dass sich die Bewohner verschiedener Regionen untereinander bekämpfen werden, wenn mögliche Endlager-Standorte offiziell benannt werden. Das entsprechende Gesetz sei viel zu schlecht gemacht, um einen Konsens herbeizuführen. Kurz: Die historisch betrachtet kurze Zeit der Atomenergie in Deutschland werde ihren hohen Preis erst noch in der Zukunft zeigen.

"Die wenigen Jahre Nutzung der Kernenergie - die Folgen werden Menschen noch Jahrtausende begleiten."

Die Vortragenden:

Der Soziologe Dieter Rucht arbeitet seit 2012 als Vorstandsmitglied am Institut für Protest- und Bewegungsforschung Berlin-Charlottenburg.

Wolfgang Ehmke ist Atomkraftgegner und Publizist. Er engagiert sich seit 1977 in der Bürgerinititaive Lüchow-Dannenberg.

Reinhard Dalchow, stellvertretender Bundesvorsitzender der Grünen Liga, hat sich seit jeher um Umweltschutzthemen gekümmert. Als Pfarrer in der DDR konnte er Freiräume der Kirche nutzen, um gesellschaftliche Diskussionen anzustoßen.

Der "Offene Hörsaal" der Freien Universität Berlin veranstaltete die Reihe "Der Atomkonflikt in Deutschland - bis in alle Ewigkeit" vom 10. April bis 10. Juli 2019.

Shownotes
Atomenergie
Atomausstieg: Was bleibt, ist der Müll
vom 02. November 2019
Moderator: 
Hans-Jürgen Bartsch
Vortragende: 
Dieter Rucht, Institut für Protest- und Bewegungsforschung, Wolfgang Ehmke, Publizist, und Reinhard Dalchow, Stiftung Naturschutz Berlin