Im Frühjahr 2021 haben deutlich mehr Menschen versucht, Europa über das Mittelmeer zu erreichen. Die italienische Politik hat sich Geflüchteten gegenüber eher verschärft. Die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache arbeitet inzwischen mehr oder weniger offiziell mit der libyschen Küstenwache zusammen.

Momentan fliehen mehr Menschen über das Mittelmeer nach Europa – insbesondere aus dem Bürgerkriegsland Libyen nach Italien. Nach Angaben des italienischen Innenministeriums waren es im Zeitraum Januar bis April 2019 knapp 800 Bootsmigranten, 2020 im selben Zeitraum ungefähr 3500 und 2021 über 9000 Menschen.

2021 sind nach Schätzungen der Internationalen Organisation für Migration bereits rund 600 Menschen im Mittelmeer ertrunken.

"Nach Schätzungen der Internationalen Organisation für Migration sind allein dieses Jahr schon rund 600 Menschen bei der Überfahrt gestorben."
Moritz Pompl, Deutschlandfunk-Nova-Reporter

Auch unter der neuen Innenministerin Luciana Lamorgese bleibe die italienische Flüchtlingspolitik unverändert, sie habe sich eigentlich noch verschärft, sagt Deutschlandfunk-Nova-Reporter Moritz Pompl. Auch Luciana Lamorgese spreche sinngemäß von Meertaxis - ein Ausdruck, den ihr rechtsnationaler Vorgänger Matteo Salvini prominent gemacht hatte.

"Es werden sogar mehr Schiffe festgesetzt als unter Salvini, auch wenn das alles geräuschloser ist. So unterschiedlich ist die Politik nicht."
Moritz Pompl, Deutschlandfunk-Nova-Reporter

Besonders in der Kritik steht seitens der Organisationen der Flüchtlingshilfe und des Europäischen Parlaments die Zusammenarbeit der europäischen Grenzschutzagentur Frontex mit den libyschen Behörden.

Zwar bestreite die Agentur die Kooperation, aber es gebe sie doch. Moritz Pompl sagt: "Schon öfter haben die Flugzeuge von Frontex Boote mit Flüchtlingen im Meer gesichtet und dann eben auch die libysche Küstenwache informiert."

Die libysche Küstenwache werde dann aktiv. Die Menschen auf den Schiffen werden zurück nach Libyen gebracht, während Seenotleitstellen in Italien und Malta abwarten.

"Zuletzt hat die libysche Küstenwache offenbar nicht nur in den eigenen Hoheitsgewässern gearbeitet, sondern auch in Gewässern, für die eigentlich Malta zuständig gewesen wäre."
Moritz Pompl, Deutschlandfunk-Nova-Reporter

Was die Aufnahme und Verteilung von Geflüchteten angeht, besteht die Uneinigkeit innerhalb der Europäischen Union unterdessen weiter. Moritz Pompl sagt: "Man ist sich einfach nicht einig darüber, wie Flüchtlinge, die ankommen, verteilt werden sollen." Die libysch-europäische Zusammenarbeit hingegen funktioniert offenbar ziemlich reibungslos.

Seenotrettung als NGO-Aufgabe

Moritz Pompl sagt, der Europäische Auswärtige Dienst habe sich zufrieden über die Effektivitätssteigerung der libyschen Küstenwache geäußert. Für die Rettung von Menschen in Seenot seien de facto allein Hilfsorganisationen zuständig.

"Seenotrettung machen letztlich nur die wenigen Schiffe der Hilfsorganisationen, die eben noch unterwegs sind."
Moritz Pompl, Deutschlandfunk-Nova-Reporter

Anmerkung zur Aktualität der Zahlen: In einer vorherigen Fassung des Artikels war die geschätzte Zahl der Todesopfer auf dem Mittelmeer mit 300 angegeben. Diese Schätzung erfolgte zum 24.04.2021. Aktueller geht die Internationalen Organisation für Migration davon aus, dass 2021 bereits 600 Menschen gestorben sind (Stand 05.05.2021).

Shownotes
Flucht und EU-Außengrenzen
Mittelmeer: Mehr Flüchtende, mehr Tote
vom 04. Mai 2021
Moderator: 
Till Haase
Gesprächspartner: 
Moritz Pompl, Deutschlandfunk Nova