Paula hat ihr Abitur gemacht – und sich dann für eine Ausbildung entschieden. Sie fühlt sich wohl mit ihrer Entscheidung, bei anderen trifft sie manchmal auf Unverständnis. Klassismus-Expertin Tanja Abou erklärt, was das mit Klassismus zu tun hat.
Paula macht gerade eine Ausbildung im Bereich Marketing bei einer Filmproduktionsfirma. Für sie war das der richtige Schritt, sagt sie. Dass sie mal eine Ausbildung macht, das hätte Paula aber nie gedacht.
Für sie war ganz lange klar: Sie möchte an eine Filmhochschule und dort Regie studieren. Seit ihrer Kindheit hat sie von einem Job am Filmset geträumt. Für das Regie-Studium wollte sie an eine ganz bestimmte Uni, die international sehr renommiert ist. Doch dann kam alles anders.
Als Paula in der elften Klasse war, ging es ihr nicht gut. "Ich kam mit dem ganzen Schuldruck und Stress nicht mehr klar", erzählt sie. Zusammen mit ihren Eltern hat Paula dann beschlossen, die Schule erst mal zu pausieren. In der Zeit hat sie sich beruflich ausprobiert und viele Praktika gemacht.
Ein Jahr später ist sie an die Schule zurückgekehrt und hat ihr Abi gemacht. Paula hatte weiterhin das Ziel: Sie möchte an der Filmuni studieren. Was Paula zu dem Zeitpunkt nicht wusste: An ihrer Wunsch-Uni reicht ihr fachgebundenes Abitur gar nicht aus.
"Mir war nicht bewusst, was es für Ausbildungen gibt. Ich habe vor allem an handwerkliche Berufe gedacht. Aber mir war nicht bewusst, dass es so viel mehr gibt, auch kaufmännische Sachen, mit denen du superviel machen kannst."
Paula hat sich dann wieder nach Praktika umgesehen und ist so zu der Filmproduktionsfirma gekommen, bei der sie aktuell ihre Ausbildung macht. Ihr Chef hat sie damals auf die Ausbildung angesprochen, als Paula dort noch Praktikantin war. Mit dem Angebot hat er ihr quasi eine neue Perspektive eröffnet. Paula hat eine Ausbildung vorher eher mit handwerklichen Berufen verbunden.
Studieren als neuer Standard?
Paula ist weiterhin glücklich mit ihrer Entscheidung. Es gibt aber auch Situationen, die sie traurig oder sauer machen, erzählt sie. Wenn sie etwa jemanden auf einer Party kennenlernt, wird sie oft direkt gefragt, was sie studiert. So als wäre ein Studium eine Selbstverständlichkeit, vor allem wenn jemand Abitur gemacht hat. "Das fühlt sich so an, als wäre eine Ausbildung nicht so viel wert, obwohl ich finde, dass es genauso viel Effort und genauso viel Stärke zeigt, wie wenn man ein Studium macht", sagt sie.
Was Klassismus ist
Was Paula schildert, kann auch als Klassismus bezeichnet werden. Klassismus ist die Diskriminierung eines Menschen aufgrund seiner sozialen Herkunft oder auch sozialen Position, erklärt Tanja Abou. Sie ist Expertin für Klassismus, forscht dazu an der Uni Hildesheim und gibt im Rahmen ihrer Arbeiter als Social-Justice-Trainerin auch Workshops für Menschen, die von Klassismus betroffen sind.
Die Frage, wie es um das gesellschaftliche Ansehen eines Studiums im Vergleich zu einer Ausbildung steht, ist laut Tanja Abou eine Frage der Anerkennungs- und Umverteilungsgerechtigkeit. Dabei geht es darum:
- Welches Ansehen hat ein Beruf?
- Wie wird der Beruf bezahlt?
Die Expertin macht den Unterschied am Beispiel einer Fachärztin und einer Krankenschwester deutlich. Die Fachärztin hat studiert, die Krankenschwester eine Ausbildung gemacht. Für ihre Arbeit werden beide unterschiedlich bezahlt und haben auch ein anderes Ansehen innerhalb der Gesellschaft, so Tanja Abou. Für ihre Arbeit brauchen aber beide eine hohe Kompetenz und viel Fachwissen.
Ausbildung = "Bildungsabstieg"?
In der Forschung geht es in dem Zusammenhang auch oft um den Bildungsaufstieg. Dabei geht es zum Beispiel darum, dass Kinder aus Nichtakademikerfamilien noch immer seltener studieren. Der Weg andersherum – Kinder aus Akademikerfamilien, die sich für eine Ausbildung entscheiden – dazu gibt es bisher kaum wissenschaftliche Erkenntnisse, so die Forscherin.
Eine Studie zu dem Thema konnte Tanja Abou aber doch finden. Der Titel der Studie lässt allerdings schon erahnen, mit welcher Perspektive auf Kinder aus Akademikerfamilien geschaut wird, die eine Ausbildung machen: Die Studie heißt "Missratene Söhne und Töchter", darin geht es um einen "sozialen Abstieg".
"Ich habe das in meinem Freund*innenkreis auch beobachten können. Wenn Freund*innen Akademiker*inneneltern hatten, gab es erstmal einen Bruch: Warum machst du eine Ausbildung? Du hast doch alle Möglichkeiten. Du hast doch das Abitur."
Ausbildungsberufe werden auf der einen Seite also teils abgewertet, gleichzeitig stehen wir aber vor dem großen Problem des Fachkräftemangels. Die Klassismus-Expertin beobachtet auch eine Akademisierung von Ausbildungsberufen wie etwa dem der Erzieher*innen, die "Erziehung und Bildung im Kindesalter" studieren.
Damit das Ansehen von Ausbildungen wieder zunimmt, sieht Tanja Abou auch die Politik in der Verantwortung, vor allem die Bundesregierung. "Leute, die eine Ausbildung machen, müssen von wirklich miesen Ausbildungsgehältern leben, müssen sich Puzzle-Finanzierung zurecht stückeln. Macht es einfacher für Leute, eine Ausbildung zu machen!", fordert die Expertin. Konkret würde das für sie bedeuten: Mehr Geld und keine Anträge, die einem Lauf durch ein Labyrinth ähneln.
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- Paula muss immer wieder erklären, warum sie eine Ausbildung macht anstatt zu studieren.
- Die Klassismus-Forscherin und Social-Justice-Trainerin Tanja Abou erklärt, was das mit Klassismus zu tun hat.