Viele von euch waren davon direkt betroffen: Am Samstagmorgen kam es beim Bahnverkehr in Norddeutschland zu einem Totalausfall aller Fernverkehrszüge, teilweise auch bei Regionalverbindungen. Das Ganze war kein normaler technischer Defekt, sondern eine gezielte Sabotageaktion.

Bisher unbekannte Täter*innen hatten an zwei wichtigen Stellen – in Berlin und im nordrhein-westfälischen Herne – Glasfaserkabel durchtrennt. Mit gravierenden und flächendeckenden Folgen für den Bahnverkehr.

"Diese Glasfaserkabel spielen eine zentrale Rolle für das digitale Zugfunksystem GSM-R."
Michael Gessat, Deutschlandfunk-Nova-Netzreporter

Es sind zwar noch immer nicht sehr viele weitere Details bekannt, aber mit Berlin und Herne wurden wohl das Hauptkommunikations- und das Backup-Kabel lahmgelegt. Die Glasfaserkabel spielen laut Bahn eine zentrale und "unverzichtbare" Rolle für das digitale Zugfunksystem GSM-R und damit für die Kommunikation der Fahrdienstleitstellen mit den Zügen.

Spekulation über Sabotage aus Russland

Ein Anfängerstreich war das eher nicht, denn die Saboteur*innen müssen ein gewisses Know-How über den Aufbau des Kommunikationssystems der Bahn gehabt haben. Intensiv spekuliert wird derzeit über eine Aktion professioneller staatlicher Kreise – das ganze könnte also etwa ein Sabotageakt Russlands gewesen sein. Befürworter dieser Theorie argumentieren, für die bislang "üblichen Verdächtigen" bei Sabotage-Aktionen gegen die Bahn – Akteure aus dem linksradikal-konsumkritischen Spektrum – sei diese Tat untypisch und zu komplex.

Andererseits – darauf weisen User-Kommentare bei heise.de hin – waren offenbar wahrscheinlich weder großes Insider- noch Geheimdienstwissen für die Sabotageaktion nötig: Die Ausbauarbeiten für das Glasfasernetz als Basis des GSM-R-Systems waren, wie üblich, europaweit öffentlich ausgeschrieben. Samt aller Details, wo welches Kabel liegt und wofür es gut ist.

Besserer Schutz der Infrastruktur gefordert

Innerhalb weniger Stunden konnten die Kabel zwar geflickt werden und der Bahnverkehr kam wieder in Gang. Trotzdem ist die Infrastruktur offensichtlich verwundbar – und muss besser geschützt werden, fordern jetzt Politiker*innen.

Das Dilemma: Die Bahn wird nicht an allen Strecken in Deutschland alle hundert Meter einen Wachmann hinstellen können. Und eine flächendeckende Videokamera-Überwachung hält unser Netzreporter auch für illusorisch. An entscheidenden Umschaltstellen muss die Sicherheit aber offenkundig verstärkt werden. Aktuell wird die Idee geäußert, die Kabel zumindest bei neuen Strecken "zugriffssicher" zu verlegen. Das wäre aber vermutlich deutlich teurer im Bau und würde Reparaturen erschweren.

"Bei den europäischen Bahnen soll GSM-R in den nächsten Jahren abgelöst und durch ein moderneres Kommunikationssystem ersetzt werden."
Michael Gessat, Deutschlandfunk-Nova-Netzreporter

Fakt ist: Ein Netz, das mit zwei durchtrennten Kabeln ausfällt, ist nicht besonders robust. Auch die Flutkatastrophe 2021 habe gezeigt, dass unsere gesamte Kommunikations-Infrastruktur in Sachen Resilienz nicht gut aufgestellt, findet Michael Gessat.

Die gute Nachricht: Bei der Bahn beziehungsweise bei den europäischen Bahnen insgesamt soll GSM-R aber in den nächsten Jahren abgelöst und durch ein moderneres Kommunikationssystem ersetzt werden. Vielleicht wird man dann auch die neu bewertete Bedrohungslage noch stärker berücksichtigen.

Klar ist aber auch: Eine absolute Sicherheit vor Sabotage wird es niemals geben können.

Shownotes
Sabotage
Das Bahnnetz ist nicht gut geschützt
vom 10. Oktober 2022
Moderation: 
Diane Hielscher
Gesprächspartner: 
Michael Gessat, Deutschlandfunk-Nova-Netzreporter