Pandemie, Krieg in der Ukraine, Energiekrise. Aufhänger für Hatespeech im Netz gibt es ausreichend. Forschende vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung sagen: Auch die Temperatur kann mit der Bereitschaft für Hatespeech zusammenhängen.

Bei Temperaturen außerhalb der Komfortzone von 12 bis 21 Grad steigt das Ausmaß von Hatespeech im Netz statistisch signifikant an, schreiben die Forscherinnen und Forscher vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung in einer aktuellen Studie im Fachblatt "The Lancet". (Hier gibt es den kürzeren Abstract.)

Die Forschenden sprechen erstmal nur von einem möglichen Zusammenhang, von einer Korrelation. Ob eine Kausalität vorliegt und die Temperaturen direkt verantwortlich für die Zunahme von Hatespeech sind, ist nicht belegt.

"Bei Temperaturen außerhalb der Komfortzone – und die setzen die Forschenden mit 12 bis 21 Grad Celsius an – steigt das Ausmaß von Hatespeech statistisch signifikant an."
Michael Gessat, Deutschlandfunk-Nova-Reporter

Die Big-Data-Analyse hat sich auf Twitter beschränkt. Vier Milliarden Tweets von Nutzer*innen in den USA aus dem Zeitraum von 2014 bis 2020 wurden ausgewertet.

  • Zum einen wurden mit einer KI, einem Wortanalyse-Algorithmus, Hatepostings identifiziert.
  • Gleichzeitig wurden für den Ort und Zeitpunkt, an dem der Tweet abgesetzt wurde, die jeweiligen Wetter- und Temperaturdaten betrachtet.

Im Durchschnitt gab es in der Gesamtzahl der untersuchten Tweets zwei Prozent Hate-Postings. Bei Posts, die an Tagen außerhalb der Temperatur-Komfortzone getwittert worden waren, gab es allerdings überproportional viel: Bis zu 20 Prozent mehr Hatespeech-Tweets wurden registriert.

Vielleicht waren die Menschen auch einfach mehr zuhause

Die Forschenden haben auch Daten zur Einkommenssituation in bestimmten Wohngegenden und zur Stadt-Land-Verteilung mit in ihre Analyse aufgenommen und versucht, so bestmöglich die individuellen Lebenssituation zu berücksichtigen.

Ergebnis der Big-Data-Analyse: Neben all den anderen Auswirkungen wie Meeresspiegelanstieg, Erosion oder häufigere Extremwetterphänomene könnte die zunehmende globale Erwärmung auch zu mehr Aggression im Netz führen.

Vielleicht ist es aber nicht die Temperatur selbst, die uns aggressiver werden lässt, sondern einfach nur die Tatsache, dass wir uns bei Wohlfühltemperaturen eher draußen aufhalten, Sport machen oder Leute treffen. Bei großer Hitze oder Kälte sind wahrscheinlich mehr Menschen zu Hause, sodass allein dadurch die Zahl der Hatespeech-Posts ansteigen könnte.

Shownotes
Big-Data-Analyse bei Twitter
Mehr Hatespeech bei Kälte und Hitze
vom 08. September 2022
Moderation: 
Jenni Gärtner
Gesprächspartner: 
Michael Gessat, Deutschlandfunk Nova