Die eigene Krankheit per App managen – dafür können mittlerweile Digas verschrieben werden, also digitale Gesundheitsanwendungen. Es gibt sie für Migräne, Brustkrebs oder Angststörungen und Depressionen – und auch für Menschen mit Borderline.

Borderline ist eine Form der Persönlichkeitsstörung und geht oft einher mit starken Gefühlsschwankungen, Selbstverletzung, bis hin zum Suizid. Psychotherapeutische Unterstützung bekommen nur wenige Betroffene. Die erste digitale Anwendung für Borderline wurde mitentwickelt von der Uni Lübeck und heißt "priovi".

Audios und Übungen helfen Borderline-Betroffenen

Den Zugang zur Online-Therapie "priovi" gibt es per Rezept. Am PC oder Smartphone leitet das Programm Schritt für Schritt durch illustrierte Texte. Dazu gibt es erklärende Audios und Übungen. "Immer wieder fragt das Programm, ob man etwas mit dem Gelesenen anfangen kann, ob man eine Pause einlegen möchte, bietet verschiedene Antwortmöglichkeiten, die angeklickt werden können – und geht dann darauf ein", erklärt Deutschlandfunk-Nova-Reporterin Astrid Wulf.

Zunächst wird Wissen rund um die Borderline-Persönlichkeitsstörung vermittelt – anhand von Lea, einer beispielhaften, fiktiven Patientin. Lea leidet unter negativen Gefühlen wie Scham, Schuld, Angst vor dem Verlassensein, innerer Leere und manchmal auch großer Wut.

"Die Gefühle von Einsamkeit, Verlassenheit, Angst, Scham und Schuld gehören zu Leas 'verletzlichem Kind-Modus.'"
Audioauszug "priovi"

In der Gesundheitsanwendung gibt es auch Übungen rund um die eigene Lebensgeschichte. Viele Betroffene haben Missbrauch, Vernachlässigung und Abwertung erlebt. Das Programm leitet in Dialogform an, sich an solche Situationen zurückzuerinnern – und sich vorzustellen, dass sie gut ausgegangen sind.

"Übungen funktionieren auch zu Hause am Rechner"

Solche Übungen macht auch Nele Assmann mit ihren Borderline-Patientinnen und -Patienten. Sie ist Therapeutin an der Universitätsklinik zu Lübeck. Aber die Übungen funktionieren auch zu Hause am Rechner, sagt sie. Die Gefahr, dabei in einen Strudel von negativen Gefühlen zu geraten, sieht sie nicht, weil das Programm öfter nachfragt, ob die Nutzerinnen und Nutzer sich zu diesen Übungen wirklich bereit fühlen.

"Dadurch, dass es diese Dialoge gibt, wird schon sichergestellt, dass man sich vorher Gedanken macht. Man landet nicht einfach so darin."
Nele Assmann, Therapeutin

Auch Carola hat die Erfahrung gemacht, dass dieses Training hilfreich ist. Sie lebt schon lange mit der Persönlichkeitsstörung und hat viele Therapien gemacht. Früher ist sie oft in Gedankenspiralen gerutscht, die sie immer weiter runtergezogen haben.

Und wenn es nur die Situation war, dass sie aus Versehen gleichzeitig im Supermarkt nach einer Schale Erdbeeren gegriffen hat. "Man steht mit dieser Schale Erdbeeren da. Anstatt diesen Moment einfach ziehen zu lassen und zu sagen: Carola – du hast dich entschuldigt, geht es weiter: Warum entschuldigt sich diese Person nicht? Das ärgert mich! Habe ich etwas falsch gemacht? Findet sie mich unverschämt?"

"Man landet automatisch in der kompletten Selbstabwertung. Wenn man das nicht rechtzeitig stoppt, kann das bis zu akuten Suizidgedanken gehen."
Carola, lebt mit Borderline

Seit einer Krise im vergangenen Jahr nutzt Carola "priovi". Was ihr besonders geholfen hat: Bei der Arbeit mit dem Programm zu spüren, dass der erwachsene, ausbalancierte Anteil ihrer Psyche mittlerweile sehr stark ist. Auch die warme, persönliche Ansprache des Programms empfindet sie als positiv.

"Eigentlich weiß man, dass das ein Online-Programm ist – aber man fühlt sich verstanden."
Carola, lebt mit Borderline

Anwendung hilft, ist aber kein Ersatz für echte Therapie

Forschende der Uni Lübeck haben in einer vom Anbieter der Anwendung finanzierten Studie mit knapp 600 Teilnehmenden gezeigt, dass das Online-Tool tatsächlich eine positive Wirkung hat: In der Gruppe derjenigen, die "priovi" genutzt hatten, gab es weniger Selbstverletzungen und Suizidversuche als in der Gruppe, die das Online-Tool nicht zur Verfügung hatten. Außerdem verbesserten sich ihre Symptome öfter als in der Kontrollgruppe.

Trotzdem ist klar: Eine Online-Therapie kann nie so individuell auf das Gegenüber eingehen wie ein Mensch. Echte Therapien ersetzen könne die Anwendung jedenfalls nicht, sagt Nele Assmann von der Uni Lübeck, die an der Studie mitgearbeitet hat: "Das ist jetzt auch kein Wundermittel, womit wir alle heilen können. Wir brauchen weiterhin spezialisierte Therapie für Patientinnen und Patienten mit Borderline-Persönlichkeitsstörungen."

Hilfe bei psychischen Problemen:

Wenn ihr unter psychischen Problemen leidet, könnt ihr Hilfsangebote in Anspruch nehmen. Hier haben wir für euch verschiedene zusammengestellt.

Shownotes
Psychische Gesundheit
So funktioniert die Online-Therapie für Borderline-Betroffene
vom 30. Juni 2025
Moderatorin: 
Lena Mempel
Autorin: 
Astrid Wulf