Timur nennt sich selbst "Meister des Verdrängens" – auch wenn er weiß, dass ihm das meistens nicht guttut. Warum er es trotzdem immer wieder macht.
"Ich bin gerade in der idealen Position, um mir das Verdrängen erlauben zu können."
Timur hat Agoraphobie, eine bestimmte Form einer Angststörung, die auch Platzangst genannt wird. Betroffene sind oft kaum oder gar nicht in der Lage die Wohnung oder das Haus zu verlassen, ohne, dass sie Panikattacken bekommen. Doch die Corona-Pandemie macht es Timur gerade leicht, seine Krankheit zu verdrängen, erzählt er. Denn Studium und Job finden im Homeoffice statt. "Außer dem Gang zum Supermarkt gibt es nichts, was ich machen müsste, deshalb kann ich das so richtig ordentlich von mir wegdrängen", sagt Timur.
Verdrängen hat für Timur nur einen kurzfristigen Effekt
Außerdem schiebt er gerade das bevorstehende Ende seines Studiums von sich weg. Mit Steuern, Versicherungen und lebensverändernden Entscheidungen will er noch nichts zu tun haben, so seine Begründung. Doch egal wie viel er verdrängt, dauerhaft sei das keine Lösung, gibt Timur zu. "Ich verdränge so lange, bis ich nicht mehr die Möglichkeit habe, zu verdrängen und dann maßlos mit allem überfordert bin. Also eigentlich verdränge ich am laufenden Band Dinge, die ich aufarbeiten müsste", sagt er.
"Im schlimmsten Fall hab ich durchs Verdrängen überhaupt nicht mehr die Kontrolle."
Timur vergleicht seine verdrängten Probleme mit einer Kammer, in die er alles reinstopft, so lange, bis die Türe unkontrolliert aufplatzt und alles über ihn hereinbricht. Verdrängt er zu viel, verliert er die Kontrolle. "Dieser Haufen an Unrat wird im Laufe der Zeit immer größer und je größer der wird, desto aufwendiger und langwieriger und schwieriger ist der Prozess des Aufarbeitens", sagt er. Und den könne man ohnehin nicht umgehen – eine Tatsache, die Timur beim Verdrängungsprozess gerne verdrängt.
Wenn das Verdrängte Timur einholt
Für unterschiedliche Arten der Verdrängung hat Timur unterschiedliche Lösungsmethoden. Wenn er in der Vergangenheit beispielsweise die Uni lange Zeit vor sich her schob, dann kümmerte er sich zwei Wochen am Stück um nichts anderes mehr. "Das war dann so ein Haufen, den ich bewältigen konnte. Das war viel Arbeit, aber das konnte ich noch einfach lösen", sagt er.
Anders sehe es aus, wenn er seine psychischen Probleme verdränge. "Da war nach Ewigkeiten des Verdrängens diese Kammer einfach geplatzt. Da gab es keine Möglichkeit für mich, das alleine einfach wieder in den Griff zu bekommen. Das war der Moment, in dem ich auf jeden Fall professionelle Hilfe auch gebraucht habe", erzählt Timur. "Deswegen bin ich auf jeden Fall, so objektiv wie möglich betrachtet, Team Nicht-Verdrängen und aufarbeiten, was man aufarbeiten muss", so sein Urteil.
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Lasst euch helfen!
Bestimmte Dinge beschäftigen euch im Moment sehr? Ihr habt das Gefühl, in einer ausweglosen Situation zu stecken? Wenn ihr euch im Familien- und Freundeskreis keine Hilfe suchen könnt oder möchtet, findet ihr hier einige anonyme Beratungs- und Seelsorgeangebote:
- Telefonseelsorge: Unter 0800 – 111 0 111 oder 0800 – 111 0 222 erreicht ihr rund um die Uhr Mitarbeiter, mit denen ihr über eure Sorgen und Ängste sprechen könnt. Auch ein Gespräch via Chat oder E-Mail ist möglich.
- Kinder- und Jugendtelefon: Der Verein "Nummer gegen Kummer" kümmert sich vor allem um Kinder und Jugendliche, die in einer schwierigen Situation stecken. Erreichbar montags bis samstags von 14 bis 20 Uhr unter der Rufnummer 116 111.
- Muslimisches Seelsorge-Telefon: Die Mitarbeiter von MuTeS sind 24 Stunden unter 030 – 44 35 09 821 zu erreichen. Bei MuTeS arbeiten qualifizierte Muslime ehrenamtlich. Ein Teil von ihnen spricht auch türkisch.
- Hier findet ihr eine Übersicht von Telefon- und Online-Beratungen in Deutschland: suizidprophylaxe.de.
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