Zwei gegensätzliche Freundinnen und viele, viele Geschichten. In Caroline Schmitts Roman "Liebewesen" trifft Lio auf Mariam, auch auf Max und auf ihre eigene Vergangenheit.

Das Leben. Das Leben kann sowas. Es kann etwas in Aussicht stellen – und das absolute Gegenteil davon passieren lassen. Es kann für schicksalhafte Begegnungen sorgen, für richtig miese, aber auch für sehr schöne. So schön wie die Begegnung zwischen Mariam und Lio an einer Bar auf einer Rollschuhparty mit billigen Drinks.

Ausgerechnet sie beide begegnen sich zur gleichen Zeit. Ausgerechnet Mariam, die ständig und in aller Ausführlichkeit über ihre sexuellen Sehnsüchte, Vorlieben und Erfahrungen spricht, und auch an diesem Abend lautstark erklärt, dass sie mal wieder gern was anderes in der Hand hätte als einen Dildo. Und ausgerechnet Lio, die bei einer Umarmung die Augen schließt und dabei die endlos langen Sekunden zählt, bis die Berührung endlich aufhört. Mariams erste Umarmung dauert sechs Sekunden.

Trotz allem verliebt

"Liebewesen" heißt das starke Romandebüt von Caroline Schmitt, die darin zwei Freundinnen durch eine Zeit begleitet, in der das Leben so viele Geschichten erzählt, dass man am liebsten: Halt! Stop! brüllen möchte. Das Gute an einem Buch ist, dass man beim Lesen anhalten und zurückblättern kann. Oder sacken lassen. Oder einfach darüber mit jemandem reden. "Liebewesen" lässt einen nicht allein. Und auch wenn Lio sich nichts mehr zu wünschen scheint, möglichst wenig in Kontakt mit Menschen zu treten, vor allem nicht in körperlichen Kontakt, passiert natürlich genau das. Lio lernt Max kennen. Mariam ist daran nicht ganz unbeteiligt, aber das mit dem Verlieben, das geht allein auf Lios Kappe.

Max ist superlustig. Und zärtlich. Und geduldig. Er ist aber auch sprunghaft, impulsiv und dann verschwindet er irgendwann wieder in seiner dunklen Wolke. Er zeigt das nur ihr. Nach außen ist er immer fröhlich. Er hat also auch sein Geheimnis, so wie Lio. Sie kriegen es hin. Sie kriegen vieles hin. Für eine Weile zumindest. Lio kann es kaum glauben. Sie kriegt sogar diese Sex-Sache hin. Sie genießt es nicht, nein, das nicht. Dafür müsste sie erstmal ihren eigenen Körper als einen Körper akzeptieren, der genießen darf, den sie genießen darf.

Schläge auf dem Dachboden

Aber wie soll das gehen? Ihr Körper hat gelernt, still zu halten. Nicht nur bei der Vergewaltigung auf dem Dorffest, auf einem dreckigen Containerboden, während eine Böhse-Onkelz-Coverband nebenan ihre pathetischen Texte grölte. Ihr Körper hat es schon viel, viel früher gelernt. Ihre Mutter hat sie bestraft. Dafür, dass sie da war. Mit einem Kochlöffel, auf dem Dachboden, jahrelang. Lio hatte das erfolgreich verdrängt. Aber dann kamen Mariam, Max, die Nähe. Ja – das Leben kann sowas.

Das Buch:

"Liebewesen" von Caroline Schmitt, eichborn, 219 Seiten, Hardcover: 20 €, E-Book: 19,99 €, Hörbuch: 19,99 €, gelesen von Sarah Liu.

Shownotes
Das perfekte Buch für den Moment …
… wenn du eine Umarmung brauchst
vom 05. Februar 2023
Autorin: 
Lydia Herms