85.000 Menschen in Deutschland sind vom Wahlrecht ausgeschlossen, weil sie eine Behinderung haben. Darunter fallen Menschen mit geistigen Behinderungen und psychischen Krankheiten, aber auch Menschen mit körperlichen Einschränkungen.

Bei der Bundestagswahl dürfen bestimmte Personengruppen nicht mitmachen:

  • alle unter 18
  • die, die keinen deutschen Pass haben
  • bestimmte Straftäter (je nach Urteil)
  • Deutsche, die im Ausland leben, aber noch nie in Deutschland gemeldet waren
  • die deutschen Staatsbürger, die von einer anderen Person in allen Angelegenheiten "rechtlich betreut" werden 

Dass die letzte Personengruppe nicht wählen darf, verstoße gegen die UN-Behindertenrechtskonvention, sagen Kritiker. Constantin Grosch aus Hameln ist Inklusionsaktivist und lehnt die aktuelle Wahl-Gesetzgebung für Menschen mit "rechtlicher Betreuung" ab.

Angst vor Manipulation?

Natürlich gebe es, wenn Menschen mit bestimmten Einschränkungen wählen, den Vorwurf der Manipulation, sagt Grosch. Diese Gefahr habe man aber auch in anderen Bereichen: Bei Demenzkranken etwa, deren Angehörige eine Vollmacht haben, könne auch niemand wirklich kontrollieren, wie der Wahlschein ausgefüllt werde.

"Natürlich kann man sagen: Das ist ein großes Problem. Wer das meint, der stellt aber auch grundsätzlich das System der Briefwahl infrage."
Constantin Grosch, Inklusionsaktivist

Sobald eine Betreuungsnotwendigkeit in allen Alltagsdingen festgestellt wird, verliert die Person laut aktueller Gesetzgebung das Wahlrecht. 

"Grundsätzlich würde ich da gar nicht unterscheiden zwischen körperlicher und geistiger Behinderung. Selbst Länder wie Lettland oder Kroatien haben die Unterscheidung in den letzten Jahren abgeschafft."
Constantin Grosch, Inklusionsaktivist

Deutschland werde seit Jahren immer wieder von der UN-Menschenrechtskonvention für diese Gesetzgebung gerügt. In einem Land mit einem relativ selbstbewussten Parlament sei das sehr verwunderlich, so Grosch.

Wo soll die Grenze gezogen werden?

  • alle, die eine gesetzliche Betreuung bekommen?
  • Menschen, die eine geistige oder psychische Krankheit haben?
  • sollte es abhängig sein von einem bestimmten Bildungsniveau?

Jede Grenze, die man ziehe, führe zu Schwierigkeiten in der Abgrenzung und mache die Tür auf für weitere Einschränkungen in der Zukunft, so Grosch.

Auf Landesebene bereits abgeschafft

In Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein ist der Wahlrechts-Ausschluss auf Landesebene abgeschafft worden. 

"Soweit funktioniert das erst einmal gut. Es ist ja auch nicht so, dass jeder Mensch, der ausgeschlossen war, dann plötzlich zur Wahl gegangen ist."
Constantin Grosch, Inklusionsaktivist

Es sei ein wichtiges Zeichen, dass auch Menschen mit gesetzlicher Betreuung das Recht bekommen haben, über die Regierung des Landes, in dem sie leben, zu entscheiden. Dass manche der betroffenen Menschen in Deutschland bei Landtagswahlen wählen dürfen, aber bei der Bundestagswahl nicht, sei schlicht und einfach unfair.

Shownotes
Bundestagswahl 2017
Warum manche Menschen mit Behinderung nicht wählen dürfen
vom 08. September 2017
Moderation: 
Thilo Jahn
Gesprächspartner: 
Constantin Grosch, Inklusionsaktivist