Bis vor Kurzem lautete das oberste Ziel im Kampf gegen das Coronavirus: 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in einer Woche. Ab dann könnte gelockert werden – so die Perspektive. Aber inzwischen reden alle von der Inzidenzzahl 35. Medizinjournalistin Christina Sartori erklärt, warum "35" das neue Ziel ist.

Der Lockdown geht weiter. Das ist einerseits die News dieser Woche, andererseits war es auch vorhersehbar. Grund sind die Mutationen des Coronavirus. Alle drei - die brasilianische, südafrikanische und britische Version - breiten sich inzwischen auch in Deutschland aus. Vor allem die britische Variante sei besonders übertragbar, viel mehr als das bisher bekannte Coronavirus, sagt Medizinjournalistin Christina Sartori.

Mutationen werden für mehr Infizierte sorgen

Das zeigen Stichproben in verschiedenen Bundesländern und erste Daten des Robert Koch-Instituts. Wenn sich das Virus schneller ausbreitet, also mehr Personen angesteckt werden, bedeutet das mehr Arbeit für die Gesundheitsämter. Sie müssen dann mehr Kontakte nachverfolgen. Aktuell ist die Inzidenzzahl noch über 50. Bei dieser hohen Infektionsrate gelingt den Ämtern die Nachverfolgung nicht. Die Folge: steigende Zahlen und so weiter und so weiter.

"Die britische Variante breitet sich schneller aus, deswegen müssen wir noch vorsichtiger sein. Wahrscheinlich steckt eine Person, die mit einem Mutanten infiziert ist, mehr Kontaktpersonen an als das bisherige Virus."
Christina Sartori, Medizinjournalistin

35er Inzidenz ist möglich - Münster macht es vor

Dennoch gibt es Hoffnung, denn in Deutschland gibt es bereits einzelne Flecken, die die magische Grenze von 35 erreicht haben, Münster zum Beispiel (Stand: 12.02.2021). Warum es hier so gut läuft, können die Forschenden aber nicht mit Sicherheit sagen. Eine Erklärung sei, dass in Münster viele Menschen leben, die im Homeoffice arbeiten, sagt Christina Sartori.

Ähnlich sei es bei den vielen Studierenden, die derzeit ebenfalls online lernen, also viel zu Hause sind. Ein anderer Grund könnte sein, dass in Münster die Hälfte aller Haushalte Singlehaushalte sind, das ist mehr als im Bundesdurchschnitt. Und wer allein lebt, der steckt zu Hause niemanden an. Außerdem ließe sich in Münster gut auf den Nahverkehr verzichten, vieles erledigten die Menschen zu Fuß oder mit dem Fahrrad.

"Eine richtige Strategie, die andere Städte nachahmen könnten, hat Münster nicht. Trotzdem scheinen dort die Maßnahmen gut umgesetzt zu werden: also Abstand halten und Kontakte einschränken."
Christina Sartori, Medizinjournalistin

Ein anderer Grund könnten die Maßnahmen sein, die die Stadt ergriffen hat: Der Corona-Krisenstab wurde recht schnell eingerichtet, das Personal im Gesundheitsamt wurde aufgestockt.

Inzidenzrechner will Infektionsgeschehen berechenbarer machen

Wann die nun sehnsüchtig erhoffte Inzidenz von 35 auch in anderen Teilen Deutschlands erreicht sein wird, weiß niemand so genau. Aber es gibt Versuche, das zu berechnen, zum Beispiel mit dem Inzidenzrechner vom Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland. Die App gibt für jedes Bundesland, aber auch für einzelne Landkreise an, wann die 35er Inzidenz erreicht ist. Laut dieser Berechnung müsste als erstes Bundesland Rheinland-Pfalz am 25. Februar die 35 knacken. Nordrhein-Westfalen würde am 5. März folgen und als letztes Bundesland würde Thüringen am 17. April die Inzidenzzahl 35 erreichen.

Mutationen werden das Erreichen der 35 erschweren

Voraussetzung für die Berechnung sei aber, dass sich die Lage so entwickle wie bisher, betont Christina Sartori. Danach sehe es aber nicht aus. Denn aller Wahrscheinlichkeit nach könnte sich bald ein Wert in der Rechnung ändern: die Reproduktionszahl. Grund ist die ansteckendere Mutante des Coronavirus aus Großbritannien. Daher gibt es trotz Rechner keine wirkliche Gewissheit, außer dass sich nach Erreichen der Inzidenzzahl 35 das Coronavirus noch lange nicht erledigt haben wird.

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Shownotes
Coronavirus
35 - Die magische Inzidenz, die keine ist
vom 12. Februar 2021
Moderatorin: 
Sonja Meschkat
Gesprächspartnerin: 
Christina Sartori, Medizinjournalistin