Damit sich die Ausbreitung des Coronavirus Sars-CoV-2 verlangsamt, sollen wir unsere sozialen Kontakte reduzieren. Aber Social Distancing ist gar nicht so einfach. Zwei Forscherinnen erklären, woran das liegt.

Die zwei Forscherinnen Isabelle Catherine Winder und Vivien Shaw sind der Frage nachgegangen, warum es uns so schwerfällt, Abstand zu halten. Gründe dafür haben sie in unserer Evolution gefunden.

Primaten sind sozial

Evolutionsbiologisch gehören wir - wie die Affen - zu den Primaten, die sich dadurch von anderen Säugetieren unterscheiden, dass sie viel sozial interagieren. Das Gruppenleben spielt bei den Primaten eine viel größere Rolle als zum Beispiel bei Ameisen, Bienen oder Wölfen. Außerdem denken wir als Menschen viel über unsere Sozialkontakte nach. Deshalb ist vermutlich unser Gehirn größer als bei anderen Tieren.

An der Größe des Gehirns lässt sich ablesen, wie groß die soziale Gruppe bei den Primaten ist. Der Mensch funktioniert am besten in einer Gruppe mit 150 Menschen.

Dunbar-Zahl

Die Zahl 150 wird auch "Dunbar-Zahl" genannt und geht zurück auf die Theorie des Psychologen Robin Dunbar. Er sagt, dass wir zu nicht mehr als 150 Menschen eine Beziehung halten können und zum Beispiel die Namen kennen. In Studien haben Forschende herausgefunden, dass wir am effektivsten in einem Unternehmen arbeiten, das nicht mehr als 150 Menschen beschäftigt.

Überlebenswichtig: gut funktionierendes Gruppenleben

Für den Menschen ist es wichtig, dass das Gruppenleben gut funktioniert. Dafür muss er seine Mitmenschen verstehen, denn das Überleben hängt davon ab. Der Mensch muss unterscheiden können, wer zur Gruppe gehört oder wer feindlich gesinnt ist, wodurch Konflikte drohen oder wer helfen kann. Auch Gefühle, die wir für andere empfinden, sind wichtig, richtig einzuschätzen.

Die ideale Gruppengröße von 150 Menschen hängt auch damit zusammen, dass in dieser Größe die Gruppe am leichtesten Feinde abwehren, Nahrung finden und sich verteidigen kann. Für die Fortpflanzung ist die Größe ebenfalls perfekt, denn dadurch ist es wahrscheinlicher, einen geeigneten Partner zu finden, und die Kinderbetreuung kann auf mehrere aufgeteilt werden.

Außerdem gibt es in der Gruppe mehr ältere Menschen, die ihr Wissen weitergeben können. Beispielsweise lassen sich Notsituationen mit den Erfahrungen der Älteren leichter überstehen.

Unsicher durch soziale Isolation

Alles in allem sind das Belege dafür, dass wir in relativ großen Gruppen am besten funktionieren. Deshalb fühlen wir uns unwohl oder unsicher, wenn wir sozial isoliert sind und Abstand halten sollen. Denn eigentlich pflegen wir soziale Beziehungen und sind ziemlich gesellig. Das Social Distancing erscheint uns unnatürlich und fällt uns richtig schwer, erklärt Deutschlandfunk-Nova-Reporterin Ann-Kathrin Horn.

"Dass wir Menschen in Gruppen – und zwar in relativ großen Gruppen – am besten funktionieren, führt dann dazu, dass es für uns unangenehm ist, wenn wir sozial isoliert sind und Abstand halten müssen."
Ann-Kathrin Horn, Deutschlandfunk-Nova-Reporterin

Nun sind wir heutzutage nicht mehr als jagende Horden gemeinsam unterwegs, auch wenn manche Hamstereinkäufe diese Vermutung nahelegen. Unser Leben basiert auf Arbeitsteilung. Wir sind so spezialisiert wie sonst keine anderen Primaten. Deshalb sind wir auch noch viel stärker voneinander abhängig. Möglicherweise drehen deshalb bei manchen die Sicherungen durch, sobald sie leere Supermarktregale sehen, weil sie sich hilflos fühlen.

Soziale Beziehungen digital pflegen

Damit wir die Corona-Krise und die Auswirkungen auf unser Sozialleben gut überstehen, können wir auf digitale Technologien zurückgreifen. Die zwei Forscherinnen haben das näher analysiert und sagen, dass wir, dadurch dass wir weiter kommunizieren können, unsere sozialen Beziehungen aufrechterhalten können.

Shownotes
Social Distancing
Kontakte zu reduzieren, fällt uns als sozialen Wesen schwer
vom 26. März 2020
Moderator: 
Markus Dichmann
Gesprächspartnerin: 
Ann-Kathrin Horn, Deutschlandfunk-Nova-Reporterin