Vom aufrechten Gang der Menschen
Philosophen waren lange in der Annahme, der aufrechte Gang würde uns von den Tieren unterscheiden und uns damit über sie erheben. Später fragten sie sich, warum wir so oft hinfallen. In seinem Vortrag durchleuchtet der Philosoph Kurt Bayertz die Geistesgeschichte des aufrechten Ganges.
Was macht uns Menschen zu Menschen? Was – wenn überhaupt – unterscheidet uns von anderen Lebewesen? Mit Fragen wie diesen beschäftigt sich die Philosophie seit jeher.
In der Antike war eine Idee dabei zentral: Menschen haben eine Seele. Aber woher kommt diese Seele? Der griechische Philosoph Platon versucht in seinem Werk Timaios eine Antwort darauf zu geben.
Die Geschichte der Kugelmenschen
Demnach erschafft ein Schöpfer Kugeln, in die er die Reste der Seele des Kosmos füllt. Das sind die Köpfe der Menschen. Doch die sollen nicht einfach über den Boden rollen. Sie brauchen etwas wie ein "Fahrgestell". Auf diesem Gestell sitzen die Kugeln und sind damit höher. Schließlich sei unsere Vernunft höherwertig als der bloße Körper.
"Platon ist der Meinung, dass die Vernunft des Menschen besser und wertvoller ist als der Körper. Deswegen muss der Kopf beim Körper oben angebracht werden, weil oben einfach besser ist als unten."
Die Tatsache, dass Menschen aufrecht gehen, wäre nach dieser Theorie mehr als ein bloßer Zufall der Biologie.
Gehen oder Fallen?
In seinem Vortrag erzählt der Philosoph Kurt Bayertz, wie das Denken über den aufrechten Gang die Geistesgeschichte seit der Antike geprägt hat. Dabei haben sich die Interpretationen im Laufe der Jahrtausende stark geändert und sich sogar in ihr Gegenteil verkehrt.
"Die These, dass der aufrechte Gang ein Alleinstellungsmerkmal des Menschen ist, gerät in der Neuzeit unter Druck. Aristoteles und Cicero wussten nichts von Pinguinen."
Waren die Köpfe der Kugelmenschen noch oben platziert, weil sie wertvoll waren, haben sich spätere Philosophen darüber gewundert, warum wir Menschen so wackelig gehen.
Der aufrechte Gang als Risiko für Verletzungen
Für den Philosophen Arthur Schopenhauer war das Gehen auf zwei Beinen in erster Linie ein Fallen. Damit war der aufrechte Gang auf einmal keine Auszeichnung mehr, kein Vorteil, sondern ein Risiko für Verletzungen, eine Fortbewegungsmethode, die viel gefährlicher und unpraktischer ist als die von Tieren, die sicher und stabil auf vier Beinen gehen.
Der Vortrag von Kurt Bayertz hat den Titel "Von Glanz und Elend des aufrechten Ganges". Er hat ihn am 17. Juni 2021 gehalten im Rahmen der Vorlesungsreihe VHS.Wissen Live. Das ist das digitale Wissenschaftsprogramm mehrerer Volkshochschulen.