Donald Trump wird US-Präsident. Viele versuchen noch immer zu begreifen, was da passiert ist in den USA. Bei Facebook und Twitter machen gerade viele Texte die Runde, die zu erklären versuchen, warum in vielen Ländern nationalistische, migrationsfeindliche Populisten an die Macht kommen. Vor allem ein Text wird viel diskutiert.
Der deutsche Blogger Michael Seemann sagt in seinem Artikel "Die Globale Klasse - Eine andere Welt ist möglich. Aber als Drohung." etwas sehr Erschütterndes und Kluges, findet Netzreporterin Martina Schulte: Nicht nur wir Journalisten, sondern auch viele von euch da draußen an den Radiogeräten, Smartphones und Computern sind nicht ganz unschuldig am Erstarken der neuen Wut-Anführer. Und: Wir merken es nicht mal…
Wie bitte? Was kann ich für Trump?
Natürlich seid ihr nicht persönlich verantwortlich für den Wahlsieg Donald Trumps, schreibt Seemann. Ihr lebt ja nicht in den USA. Aber…
"Die meisten, die das hier gerade lesen, gehören wahrscheinlich zu einer Gruppe Menschen, die eher global und liberal orientiert ist."
Die in Prag studiert haben und morgen für einen Job nach Barcelona ziehen. Die eher in einer Stadt wohnen. Die Netflix-Serien im Original gucken und vielleicht sogar einem syrischen Flüchtling bei der Integration helfen wollen. Die, die eher auf Justin Trudeau stehen als auf Günther Oettinger.
Politischer Mainstream
Aber jetzt stellt euch mal vor, ihr wärt ein mittelalter christlicher Familienvater aus dem Sauerland, der sich in seinem Dorf am wohlsten fühlt, der die deutsche Sprache möglichst unverfälscht erhalten will und dem der radikale Islamismus fürchterliche Angst macht.
"Dann wärt ihr trotzdem nicht das personifizierte Böse. Ihr hättet einfach eine andere Vorstellung davon, wie ihr leben wollt."
Aber anders als die Leute in der ersten Gruppe der Global-Liberalen, hättet ihr ein Problem: Ihr würdet auf einmal von der anderen Gruppe und deren Werten regelrecht beherrscht. Denn die erste Gruppe bildet heute, schreibt Seemann, den politischen Mainstream und gibt überall kulturell und politisch den Takt vor: Merkel lässt die Flüchtlinge rein, die USA hatten acht Jahre lang einen schwarzen liberalen Präsidenten, die EU zieht immer mehr Aufgaben an sich… Aber nicht nur in der Politik, die Globalliberalen dominieren auch die Medien. Die große Mehrheit der Journalisten gehört zur ersten Gruppe.
"Die Medien und die Politik geben den Traditionellen, Konservativen, Rechten gerade das Gefühl, dass sie in der Gesellschaft nicht mehr vorkommen und abgehängt werden."
Die zweite Gruppe fühle sich weniger wirtschaftlich, sondern vor allem kulturell abgehängt, schreibt Seemann.
Kulturkampf: Wer kontrolliert unsere Werte?
Er sieht das als eine Art Kulturkampf, in dem die zweite Gruppe nicht mehr das Gefühl hat, in einer Demokratie zu leben.
"Es gäbe gar keine echte Demokratie mehr, sondern nur noch die Einheits-Blockpartei CDUSPDFDPGRÜNELINKE. Auch die Medien ('Lügenpresse') steckten mit unter der Decke."
Weil sich die Traditionalisten bedroht - und nicht mehr gehört - fühlen, wählen sie Trump, Le Pen, AfD und FPÖ. Dieser Kampf gegen die herrschende liberale globale Klasse findet gerade an vielen Orten auf der Welt statt, ist sich Seemann sicher. Das Perfide: Wir, die neue globalisierte Klasse, sind viel mächtiger als wir denken, sagt Seemann. Wir bemerken gerade nicht, dass wir die anderen zu beherrschen versuchen.
"Wir kontrollieren die Moral, die Werte! Wir sind die Guten."
Die anderen sind plötzlich die kulturell Abgehängten. Und sie merken auch, dass wir unsere Standards überall auf der Welt erfolgreich als Maßstab durchsetzen: ökologische, antirassistische, antisexistische Standards - politisch korrekte Standards eben.
"Kulturelle Gentrifizierung"
Und diese Standards, die zwingen wir den Traditionalisten, den antiglobalen, nationalen, wertkonservativen dann auf. Seemann sagt, wir erleben gerade eine Art kulturelle Gentrifizierung. Und weil die bürgerlich traditionelle, nationale Gruppe gegen uns, gegen die globale Klasse weder moralisch noch mit Argumenten gewinnen könne, bleibe ihr nichts anderes übrig, als jede Moral und jedes Argument zu verweigern und Trump zu wählen - oder eben die AfD.
Der Text von Michael Seemann ist schon ein paar Wochen alt. In einem aktuellen Facebook-Post aktualisiert er ihn aber noch mal:
"so absurd es sich anhört. aber die spinner hatten recht. oder zumindest haben sie jetzt die macht. wir müssen ihnen zuhören, auch wenn wir ihnen nicht zustimmen. aber ohne zuhören, ohne den versuch zu verstehen, werden wir unser leben riskieren. denn sie sind gefährlich."