Schlaf hilft der Erinnerung: Diese These haben britische Forschende in einem Experiment mit Augenzeuginnen und Augenzeugen untersucht - und widerlegt. Probanden haben sich nach einer Nacht Schlaf nicht besser an Ereignisse erinnert als davor.

Ihr beobachtet einen Verkehrsunfall und sollt der Polizei im Anschluss als Augenzeuge erzählen, was passiert ist. Oft funktioniert das nur bedingt. Der Grund: Selektive Wahrnehmung. In vielen Fällen können wir uns zwar eine Zeit lang an eindringliche Erlebnisse erinnern, unser Gehirn blendet viele Details aber auch aus oder es füllt Lücken mit Informationen auf, die nicht unbedingt stimmen.

Erinnerungslücken

Deutschlandfunk-Nova-Reporterin Kathrin Sielker berichtet aus eigener Erfahrung: Nachdem sie beobachtet hatte, wie ein Radfahrer von einem Auto angefahren wurde, konnte sie sich etwas später nicht mehr an bestimmte Details erinnern – zum Beispiel die genaue Farbe des Autos. Sie wusste nur: Das Auto war hell. Das Detail Autofarbe hat ihr Gehirn ausgeblendet. Denn: Sie hatte sich während der Unfallszene auf den Fahrradfahrer konzentriert.

"Ich hab zum Beispiel vor Kurzem beobachtet, wie ein Radfahrer von einem Auto angefahren wurde. Aber ich konnte kurz danach schon nicht mehr sagen, welche Farbe das Auto hatte."
Kathrin Sielker, Deutschlandfunk-Nova-Reporterin

Ein Team aus Forschenden der Royal Holloway University of London und der University of Birmingham wollte herausfinden, ob wir uns durch Schlaf besser erinnern können. An der Studie haben 2000 Menschen teilgenommen, die sich ein Video angesehen haben, in dem ein Verbrechen nachgestellt wurde.

Ein Teil der Probanden sollte sich frühmorgens das Video ansehen und den Beschuldigten noch am selben Tag identifizieren. Aber: Dazwischen lag eine Pause von 12 Stunden, in der sie wach blieben. Der andere Teil hat sich das Video spät abends angesehen. Im Anschluss sollten sie 12 Stunden schlafen und am nächsten Morgen ihre Aussage machen.

Gute Erinnerung: Zeit hilft, Schlaf aber nicht

Das Ergebnis: Schlaf oder kein Schlaf – es macht keinen Unterschied. Beide Gruppen waren in ihren Aussagen gleich zuverlässig. Das bedeutet: Durch Schlaf können wir uns nicht zwingend besser erinnern.

Die Forschenden haben aber festgestellt, dass Zeit eine Rolle spielt. Denn je weniger Zeit zwischen einem Ereignis und der Befragung vergeht, desto besser können wir uns erinnern. Die Probanden konnten den Täter beziehungsweise die Täterin fünf Minuten nach dem Ansehen des Scheinverbrechens am besten identifizieren, sie hatten die höchste Trefferquote.

Die Polizei rät daher: Nach dem Beobachten eines Unfalls möglichst alle Details sofort aufzuschreiben.

Shownotes
Gehirn
Schlaf macht die Erinnerung nicht besser
vom 05. Dezember 2019
Moderatorin: 
Steffi Orbach
Gesprächspartnerin: 
Kathrin Sielker, Deutschlandfunk-Nova-Reporterin