"Erlernte Hilflosigkeit" ist ein etabliertes Konzept in der Psychologie. Negative Erfahrungen führen demnach dazu, dass wir uns machtlos fühlen und passiv bleiben. Ein neuerer Ansatz geht aber davon aus: Hilflosigkeit ist eher Default, Hoffnung ist erlernbar! Achtsamkeit kann dabei helfen.

Klimakrise, Dürren, Überschwemmungen, Inflation, Artensterben, Plastik im Meer, Rezession... Viele von uns fühlen sich all solchen Krisen hilflos ausgeliefert. Wenn viele schlimme Nachrichten auf uns einprasseln, dann kann das schnell passieren: Wir fühlen uns klein, unwichtig, macht- und hoffnungslos. Es tauchen Gedanken auf wie: "Ich kann ja sowieso nichts ändern!"

Hoffnungslosigkeit: Gift für Psyche

Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit sind aber eines der größten Gifte für unsere geistige Gesundheit – und unsere Umwelt, sagt unsere Achtsamkeits-Moderatorin Diane Hielscher. In dieser Episode von Achtsam geht sie zusammen mit Psychologin Main Huong Nguyen deshalb der Frage nach, woher die Gefühle der Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit kommen und was dagegen hilft.

"Genau das passiert so vielen Menschen! Dass so viele einfach aufhören, aufgeben und sagen: Mir ist XY schon passiert, es bringt nichts mehr, ich verstecke mich unter meiner Decke!"
Main Huong Nguyen, Psychologin

Die beiden erzählen von einem berühmten Experiment aus den 70er Jahren des US-amerikanischen Psychologen Martin Seligman, das bis heute großen Einfluss hat. Das Experiment bestand aus zwei Phasen. In der ersten Phase wurden Hunde in drei Gruppen eingeteilt:

  1. Die Fluchtgruppe: Der ersten Gruppe wurden Elektroschocks verabreicht, die sie jedoch abstellen konnten, indem sie einen Hebel betätigten – klassische Konditionierung nach Pawlow.
  2. Die Yorkgruppe: Die zweite Gruppe konnte mit ihrem Verhalten nichts gegen die Elektroschocks machen.
  3. Die Kontrollgruppe: Diese Hunde erhielten gar keine Elektroschocks.

In der zweiten Phase wurden die Hunde in eine sogenannte Shuttle-Box gebracht, eine Kiste, die durch ein Hindernis in zwei Kammern getrennt war. Der Boden beider Box-Hälften konnte abwechselnd elektrisch aufgeladen werden - mal herrschte auf der einen Seite elektrische Spannung, mal auf der anderen Seite.

Seligmann: Hoffnungslosigkeit wird erlernt

Je nachdem, welcher Gruppe die Hunde in der ersten Phase angehört hatten, verhielten sie sich in der zweiten Phase:

  • Die Hunde der Fluchtgruppe verstanden den Mechanismus und sprangen einfach über die Hürde auf die andere Seite der Box, um den Stromschlägen zu entgehen.
  • Viele der Hunde aus der Yorkgruppe bewegten sich dagegen nicht. Sie versuchten nicht mal, auf die andere Seite der Box zu kommen. Sie hatten offenbar gelernt, dass sie sowieso nichts ausrichten können – sie hatten Hilflosigkeit gelernt.

Das Shuttle-Box-Experiment übertrug Seligman auf den Menschen: Wenn wir die Erfahrung machen, so die These, dass wir eine schlechte Situation nicht durch unser Verhalten kontrollieren oder wenigstens beeinflussen können, kann das dazu führen, dass wir "lernen" uns hilflos zu fühlen und passiv bleiben, wenn wir wieder in für uns negative Situationen kommen. Das heißt theoretisch aber gleichzeitig: Wir können Hilflosigkeit auch wieder verlernen.

"Mit diesem Modell arbeiten immer noch sehr viele Therapeuten, ich auch. Wir haben sogar Filme, wo man die Hunde sieht, und die Patienten fühlen sich sofort abgeholt und verstanden."
Main Huong Nguyen, Psychologin

Das Konzept der "Erlernten Hilflosigkeit" dient auch als Erklärmodell für depressives Verhalten oder depressive Denkweisen. Es ist bis heute aktuell in der Psychologie und der therapeutischen Arbeit, erklärt Main Huong, sie selbst wendet es an. Patient*innen fühlten sich sofort verstanden, wenn sie Videos dieser Hunde sehen, erzählt sie.

Update: Hoffnung ist erlernbar

Seligman und sein Mitarbeiter, der damals an den Experimenten zur Erlernten Hilflosigkeit mitgearbeitet hatte, veröffentlichten 2016 ein Update ihrer ursprünglichen Theorie zur Erlernten Hilflosigkeit. Demnach ist Hilflosigkeit eher der menschliche Default: Die Passivität und das Gefühl der mangelnden Kontrolle, die sie in ihren Experimenten zur Erlernten Hilflosigkeit beobachteten, ist in Wirklichkeit die Standardreaktion, so die neue Interpretation.

Das, was wir tatsächlich lernen können ist: Hoffnung! Und dabei kann Achtsamkeit helfen. Hoffnung und Hilflosigkeit und wie wir einen achtsamen Umgang damit finden, das sind die Themen dieser Folge Achtsamkeit.

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