Das Demokratieproblem der EU
Die Europäische Union hat ein Akzeptanz- und ein Demokratiedefizit. Das sieht auch der Verfassungsrechtler Dieter Grimm so. Der will die EU allerdings keineswegs abschaffen, sondern ändern. Woher die Legitimationsprobleme stammen und wie er sie beheben will, erklärt er in diesem Vortrag.
Mit der Zustimmung zur EU ist es nicht so weit her: In der Eurobarometer-Umfrage vom Herbst 2019 gaben nur 52 Prozent der Befragten EU-Bürger an, dass sie damit zufrieden sind, wie die Demokratie in der EU funktioniert. Gemessen daran, wie viele Entscheidungen auf europäischer Ebene getroffen werden, die wirklich wichtig für uns und unser Leben sind, ist das recht mager. Dabei sind die Zahlen in den vergangenen Jahren – ironischerweise dank des Brexits – sogar gestiegen.
Die EU hat ein Akzeptanz- und ein Demokratiedefizit
Vielleicht spiegelt sich in dieser mangelnden Akzeptanz ja das wider, was einige Kritiker ein Legitimations- oder Demokratiedefizit der EU nennen. Dieter Grimm gehört zu diesen Kritikern, er ist Verfassungsrechtler und ehemaliger Richter am Bundesverfassungsgericht. Die mangelnde Akzeptanz könnte das Projekt Europa gefährden, befürchtet er.
"Unter dem Deckmantel der wirtschaftlichen Integration vollzogen sich Veränderungen, die die Herstellung und Sicherung des gemeinsamen Marktes bei Weitem überschritten."
In seinem Vortrag sucht er den Grund für dieses Akzeptanzproblem – und macht gleich mehrere aus: So habe das Maß an Integration über die Wirtschaft hinaus Menschen überfordert, und die europäische Wahl sei nicht wirklich europäisiert – um nur zwei Beispiele zu nennen.
"Die Parteien, die man wählen kann, bestimmen nicht den Parlamentsbetrieb in Europa. Und die Parteien, die den Parlamentsbetrieb bestimmen, kann man nicht wählen."
Das größte Problem wird seines Erachtens aber meist übersehen: Die Rechtsgrundlage der EU, die aus völkerrechtlichen Verträgen der Mitgliedstaaten besteht, wirke durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs mittlerweile wie eine Art Verfassung. Verfassungen stehen aber über der Politik und werden gerichtlich durchgesetzt.
"Es ist eben nicht nur eine Äußerlichkeit, dass die Verträge so dick sind, sondern es ist ein Demokratieproblem."
Und so habe der Europäische Gerichtshof mit dieser "Konstitutionalisierung" der Verträge den politischen Einfluss der demokratisch legitimierten Institutionen Parlament und Ministerrat geschwächt.
Drei Schritte, um die EU demokratischer zu machen
Die exekutiven und judikative Organe der EU, sprich die Europäische Kommission und der Europäische Gerichtshof, haben sich laut Dieter Grimm verselbstständigt und von den demokratischen Prozessen entfernt. Was also tun? In seinem Vortrag schlägt der ehemalige Verfassungsrichter drei Schritte vor, um die Situation zu verbessern.
Dieter Grimm ist Professor für Öffentliches Recht an der Humboldt-Universität zu Berlin und war von 1987 bis 1999 Richter des Bundesverfassungsgerichts. Seinen Vortrag "Auf der Suche nach Akzeptanz. Über Legitimationsdefizite und Legitimationsressourcen der EU" hat er auf Einladung der Daimler und Benz Stiftung am 4. Dezember 2019 im Berliner Haus Huth gehalten.