Deutschland ist dringend auf Fachkräfte aus dem Ausland angewiesen. In vielen Branchen mangelt es an qualifizierten Arbeitnehmenden. Durch eine Gesetzesreform soll die Einwanderung für Fachkräfte erleichtert werden. Aber in der Realität hapert es oft noch. Unter anderem, weil es für Menschen, die kaum Deutsch sprechen, Hürden gibt, um etwa die notwendige Bürokratie zu erledigen.

Im neuen Koalitionsvertrag wird Berlin als "Stadt der Vielfalt" angepriesen. Was dort schwarz auf weiß geschrieben steht, spiegelt sich jedoch oft nicht in der Alltagsrealität eingewanderter Menschen wider. Unsere Reporterin Luise Sammann hat beispielsweise mit Maria Coelho gesprochen, die als EU-Bürgerin aus Portugal nach Berlin gekommen ist.

Maria hatte zwei Jahre lang als Supervisor für ein Unternehmen in Berlin gearbeitet. Bis sie über Nacht ihren Job verloren habe. Gegen die Kündigung habe sie dann geklagt und für die Dauer des Verfahrens Arbeitslosengeld beantragen wollen.

"Die Arbeitsagentur hatte erst mal eine dreieinhalbmonatige Sperre gegen sie verhängt, so als ob sie ihren Job selbst gekündigt hätte."
Luise Sammann, Deutschlandfunk Nova

Sie habe ihren Anspruch auf Englisch geltend gemacht, weil es ihr nicht möglich war, das auf Deutsch zu tun. Die Agentur für Arbeit habe sie daraufhin für dreieinhalb Monate für das Arbeitslosengeld gesperrt – ganz so, also ob Maria selbst ihren Job gekündigt hätte.

Maria berichtet, sie habe mehrfach auf Englisch mitgeteilt, dass sie nicht selbst gekündigt hat. Die Ironie dabei: Als EU-Bürgerin steht Maria sogar per Gesetz ein*e Dolmetscher*in zu. Und es gibt eine interne Anweisung bei der Agentur für Arbeit, dass Mitarbeitende bei EU-Bürgern auf Übersetzungsdienste zugreifen sollen, erläutert unsere Reporterin Luise Sammann.

"Mindestens für die EU-Bürger ist geregelt, dass die bei Sprachbarrieren einen Dolmetscher bekommen sollen, den dann der Staat übernimmt, also die Kosten dafür. Der Grund dafür ist, dass sie ihre sozialen Rechte wahrnehmen müssen, weil sie EU-Bürger sind."
Ourania Kyriakopoulou, Rechtsanwältin

Letztendlich habe sich Maria Coelho rechtlichen Beistand gesucht und das Geld von der Agentur für Arbeit bekommen. Anderenfalls hätte sie ihre Miete nicht mehr zahlen können und hätte dadurch fast auch ihre Wohnung verloren.

Rechtsanwältin: Mindestens einmal pro Woche einen ähnlichen Fall

Der Fall von Maria Coelho ist kein einzelner Fall, sagt die Rechtsanwältin Ourania Kyriakopoulou. Sie habe mindestens einmal pro Woche einen ähnlichen Fall auf ihrem Tisch liegen.

Einen Übersetzungsdienst hinzuziehen bedeutet für Ämter und Behörden natürlich einen Mehraufwand. Und in vielen Fällen passiert das dann eben nicht, sagt unsere Reporterin Luise Sammann. Demnach wissen viele eingewanderte Fachkräfte wie Maria Coelho oft nicht einmal, dass sie gewisse Rechte in Deutschland haben.

"Aber an dem Fall von Maria Coelho, die ja immerhin drei Sprachen fließend spricht, sieht man, glaube ich ganz gut, dass häufig auch einfach der Wille fehlt."
Louise Sammann, Deutschlandfun Nova

In einem Pilotprojekt soll in den nächsten Jahren ein Videoübersetzungsdienst in verschiedenen Berliner Bezirken getestet werden. Eine Entwicklung, die nach Meinung von Experten viel zu langsam vorangeht. Svenja Ketelsen von der Landesarmutskonferenz kritisiere beispielsweise seit Jahren, dass die interkulturelle Öffnung der Verwaltung nicht vorankomme. Andere Bundesländer, wie beispielsweise Thüringen, seien der Bundeshauptstadt in dieser Hinsicht weit voraus.

Shownotes
Fachkräftmangel
Fehlende Deutschkenntnisse – bürokratische Hürden
vom 27. Juni 2023
Moderator: 
Nik Potthoff
Gesprächspartnerin: 
Luise Sammann