Familect oder Familekt bezeichnet Wortkreationen innerhalb einer Familie oder eines Freundeskreises. Die Wissenschaftlerin Cynthia Gordon erforscht sie.

Wenn Menschen einen Lebensraum teilen, können sich Nähe und Zusammenleben auch auf die Sprache auswirken. Nicht selten entsteht dabei ein neues Vokabular, das nur von wenigen Personen verstanden und gesprochen wird. Genannt: Familekt.

Familekt ist ein Kofferwort: "Fami" steht dabei für Familie oder familiär, die Endung "-lekt“ kennen wir zum Beispiel von Dialekt. Mit Familekt sind also eine Art Slang, Dialekt oder einfach nur neue Wortschöpfungen gemeint, die innerhalb einer Familie, einer WG oder eines Freundeskreises verwendet werden.

Wortneuschöpfungen aus Kleinkindgebrabbel oder Alltagssituationen

Bei mehrsprachigen Familien mischen sich etwa Wörter aus verschiedenen Sprachen. Aber es können auch Neologismen oder Phrasen sein – oder wenn Kleinkinder Wörter erfinden und die von der Familie in den Sprachgebrauch übernommen werden.

"Das Wort Kinderschreck. Das ist der Teigschaber. Aus der Familie meiner Mutter kommt das."
Madita

Bei einer Umfrage stellt unser Reporter Stephan Beuting fest, dass vielen der Begriff "Familekt" nicht geläufig ist. Aber als er ihn erklärt, hat Madita gleich ein Beispiel: In ihrer Familie heißt der Teigschaber "Kinderschreck" – weil er die Schüssel so gründlich ausschabt, dass für die Kinder nichts mehr zum abschlecken übrig bleibt.

"In einer Familie sagen sie anstatt ciao oder bis bald lieber Tschüssi Müsli."
Stephan Beuting, Deutschlandfunk Nova

Cynthia Gordon ist Professorin für Linguistik an der Georgetown University in Washington, sie ist Autorin des Buches "Making Meanings, Creating Family" und hat das Familekt-Phänomen genauer untersucht. Durch ihre Forschung ist es erst so richtig populär geworden. Die Linguistin sagt, wenn sie das Thema einmal erklärt, fallen den meisten Menschen sofort Beispiele ein.

Durch Zufall ein neues Forschungsgebiet

Eigentlich wollte Cynthia Gordon mit ihrer Forschung damals zeigen, wie Familien mit zwei arbeitenden Eltern ihre Work-Life-Balance finden. Bei den Aufnahmen kam es dann aber immer wieder vor, dass sie einzelne Worte oder Satzteile irgendwie nicht richtig verstehen konnte.

Sie erinnert sich an eine Mittagspause zusammen mit einer Mutter und deren zweieinhalbjähriger Tochter. Cynthia Gordon isst Weintrauben. Und das kleine Mädchen sah zu ihr: "Oh, you just pop them in!" ("Du steckst sie Dir einfach so rein!"). Erst später wird ihr die Bedeutung dieses Satzes klar, als sie ihre Aufnahmen abhört und auf einen Dialog zwischen der Mutter und der Tochter stößt, in dem die Tochter gerne Weintrauben essen möchte. Gordon hört dann,
wie die Tochter ihre Mutter bittet, ihr die Weintrauben zu schälen. Und die Mutter sagt: Quatsch, "just pop them in!" Die Wissenschaftlerin versteht an dieser Stelle, dass der Satz eine vielschichtige Bedeutung hat.

Sprachkreationen betonen Zusammengehörigkeit

Von einzelnen Worten bis zu kleinen Phrasen sind es genau diese Neuschöpfungen, die das Zusammenleben ganz individuell gestalten. Und genau daraus entwickelt sich mit der Zeit ein linguistischer Stallgeruch, der ganz klar zeigt, ob man dazugehört oder nicht.

Bei Stephan Beuting ist es die Verabschiedung: "Düsidosi!" Sie stammt aus dem Versuch eines Kleinkindes "Tschüssikowski" zu wiederholen. Obwohl das Kind inzwischen groß und in der Lage ist, die Verabschiedung so auszusprechen, wie sie gemeint ist, wird in der Familie und vor allem vom Nachbarn immer noch gerne "Düsidosi" verwendet.

Familekt ist wie ein Code, den nur eine kleine eingeweihte Gruppe versteht. Und gleichzeitig betont er ausdrücklich Nähe, eine emotionale Schnittmenge. Er ist der Beweis, dass Menschen sich gut kennen, die gleiche Sprachwelt bewohnen und er hält gemeinsame Erfahrungen, Geschichten und Erinnerungen wach. Und vor allem: Familekt ist nicht nur auf Familie beschränkt, sondern viel weiter gefasst. Auch Pärchen oder Freunde bilden eine gemeinsame Sprachwelt und manchmal schaffen sogar Organisationen oder Firmen ihre eigenes sprachliches Ökosystem.

"If you want to drink something at Starbucks, you gonna say 'grandeyhh' instead of large, right?"
Cynthia Gordon, Professorin für Linguistik an der Georgetown University in Washington

Familekt entsteht oft spontan und plötzlich im Alltag und bleibt vielleicht für immer Teil unseres Lebens.

Shownotes
Sprache
Familekt: Wenn der Teigschaber zu 'Kinderschreck' wird
vom 05. Juni 2023
Autor: 
Stephan Beuting