Trotz rechtlicher Verankerung müssen Frauen in Marokko immer noch um ihre persönliche Freiheit kämpfen. Diesen Kampf gehen die Marokkanerinnen unterschiedlich an. Die einen wollen weg, die anderen bleiben.
Seit 2011 sind Frauen in Marokko in allen Lebensbereichen den Männern gleichgestellt. Zumindest auf dem Papier. In der Realität ist für die Frauen davon nur wenig zu spüren.
Der Global Gender Gap Report von 2020 beispielsweise stuft die ökonomischen Chancen von Frauen sehr gering ein. Marokko steht von 153 Ländern auf Platz 143. Viele Frauen versuchen deshalb ihren individuellen Ausweg aus der Unfreiheit zu finden.
Der Wunsch nach Freiheit provoziert
Aya und Marwa, beide 17 Jahre alt, haben sich vor zwei Jahren entschieden, von ihrem Elternhaus abzuhauen. Heute leben sie im Küstenort Taghazout. Doch auch dieser Ort soll für sie nicht die Endstation sein. Sie wollen weg aus Marokko. Das Land erlaube ihnen nicht das zu tun und zu sein, was sie wirklich wollen, sagt Aya.
"This country doesn’t allow you to do what you really want."
In dem Touristenort Taghazout an der Atlantikküste schlagen sich die jungen Frauen mit Gelegenheitsjobs durch, schliefen zuerst in einem Zelt und mittlerweile bei Freunden. Sie sind zwar arm, können dafür aber ein Stück mehr Freiheit genießen. Diese leben sie zum Beispiel beim Skaten aus.
Eine Baggyhose, ein T-Shirt und ein Skateboard – das sind provozierende Accessoires für eine marokkanische Frau, erzählt Aya. Die Männer würden sie anschauen und sich fragen, warum sie so gekleidet sei und Skateboard fahre, anstatt zuhause zu sein und zu putzen oder zu kochen. Ihre Freundin Marwa mit Baseballcap und Zigarette im Mund fügt abgeklärt hinzu: Egal, was man mache, man sei immer eine Hure.
"Here you are a whore. Whatever you do. If you wear makeup you are a slut. If you don’t wear the Hijab, you are a slut. If you are breathing, you are a slut."
Zumindest seien die Jungs im Skaterpark in Taghazou nicht wie der Durchschnitt der marokkanischen Männer. Diese würden die Frauen im Namen der Religion unterdrücken.
Für Marwa hat das alles aber nur sehr wenig mit dem ursprünglichen Islam zu tun. Die Männer würden willkürlich alles erlauben oder verbieten, wie es ihnen gerade passe.
"Keep following your dreams. This is Islam"
Auch Marokkos beste Surferin Meryem al Gardoum musste sich anfangs dem Vorwurf stellen, dass Surfen nichts für eine Muslima sei. Vor über zehn Jahren begann sie ihre Karriere am Surfspot "Devils Rock", der circa fünf Kilometer vom Skatepark entfernt liegt.
Heute, mit 22 Jahren, ist sie sich sicher, dass der Islam häufig falsch ausgelegt werde, nur um Frauen von bestimmten Dingen abzuhalten. Für sie bedeutet der islamische Glaube, dem Herzen zu folgen und seine Träume zu verwirklichen.
"It is not if you are a muslim you have to stay at the house. You have to keep following your dreams and do good things with your heart. So this is Islam."
Dass Meryem es geschafft hat, ihren Traum zu verwirklichen, hat sie dem Vertrauen ihres Vaters zu verdanken. Auch, wenn er anfangs sehr skeptisch war, ließ er sie als einziges Mädchen mit den Jungs im Wasser trainieren. Mit 13 nahm sie zum ersten Mal an den marokkanischen Surfmeisterschaften teil und gewann diese auch.
Vorbild sein, statt flüchten
Die Surfmeistern kann gut nachvollziehen, warum junge Frauen wie Aya und Marwa das Land verlassen wollen. Auch sie kämpft täglich mit der Ungerechtigkeit: Trotz ihres Erfolgs findet sie keine Sponsoren.
Wetsuits und Ausrüstung bekomme sie manchmal aus dem Ausland, da marrokanische Surfmarken kein Budget für Frauen hätten, erzählt sie. Nach dem Training geht Meryem deshalb für 20 Euro am Tag noch in Surfschulen arbeiten.
Doch das ist dennoch kein Grund für sie, das Land zu verlassen.
"For me it is so sad that I get more support from other countries than Morocco. But Iam not gonna leave my country. I love my country."
Meryem möchte Vorbild sein, sie möchte andere junge Frauen mit ihrer Geschichte inspirieren. Gerade über Instagram bekomme sie viel Feedback von jungen Mädchen, die sich von ihr ermutigt fühlten, auch mit dem Surfen anzufangen.
Das eigene Glück nicht hintenanstellen
Für Aya und Marwa ist das keine Lösung. Wenn man die ganze Zeit nur andere inspiriere, bleibe das eigene Glück am Ende auf der Strecke, sagt Marwa. Ihr Plan: Sobald sie genug Geld zusammen haben, wollen sie legal ausreisen, ihre Pässe verbrennen und einen Neustart wagen. Vielleicht in Brasilien oder in Europa, Hauptsache nicht in Marokko.