Russland liefert kein Gas mehr an Polen und Bulgarien. Als Begründung gibt der russische Staatskonzern Gazprom an, beide Länder würden nicht in Rubel bezahlen. Auch Deutschland weigert sich, in Rubel zu bezahlen. Was würde also passieren, wenn auch Deutschland kein russisches Gas mehr bekommt?
Der Energiekonzern Gazprom hat die Gaslieferungen über die Jamal-Pipeline nach Polen eingestellt. Die Pipeline verläuft von Russland über Polen nach Deutschland. Die Versorgungslage hierzulande sei aber nach wie vor stabil, heißt es aus dem Bundeswirtschaftsministerium.
Ein Embargo auf russisches Öl hält Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck inzwischen zwar für machbar. Doch welche Folgen es hätte, wenn Russland entscheidet, kein Gas mehr nach Deutschland zu liefern, kann im Moment – „wenn man ganz ehrlich ist“ – niemand so ganz genau sagen, meint Wirtschaftsjournalist Nicolas Lieven.
Prognosen: Von Horror bis verkraftbar
Die eine Seite befürchte einen dramatischen Wirtschaftseinbruch und Massenarbeitslosigkeit, die andere sehe zwar ebenfalls eine Rezession kommen, halte das aber für verkraftbar. Weder Wissenschaft noch Politik noch Unternehmen seien sich über die Folgen eines Embargos aber einig.
"Weder Wissenschaft noch Politik noch Unternehmen sind sich einig, welche Folgen ein Gas-Stopp hätte. Das Ganze ist sehr von Interessen getrieben."
Das Ganze sei sehr von Interessen getrieben, erklärt der Wirtschaftsjournalist. BASF-Chef Martin Brudermüller beispielsweise hat auf der Hauptversammlung vor dem Gas-Stopp gewarnt – dieser hätte irreversible Schäden für die Volkswirtschaft zur Folge.
Fakt ist: BASF ist einer der größten Energieverbraucher Deutschlands und hat sehr enge Beziehungen zum russischen Gasmarkt. Deswegen müsse man da immer ganz genau hinsehen, sagt Nicolas Lieven.
Abhängigkeit vom russischen Gas bereits deutlich reduziert
Die deutsche Abhängigkeit vom russischen Gas sei bereits deutlich zurückgefahren worden – von 55 auf 35 Prozent. Fakt sei außerdem, dass im Sommer nur ungefähr ein Drittel des Gases gebraucht wird, das im Winter nötig ist.
Momentan – und in den kommenden Monaten – sei die Abhängigkeit also relativ niedrig. Deutschland beziehe neben dem russischen auch Gas aus Norwegen und den Niederlanden. Damit könne ein großer Teil des Bedarfs abgedeckt werden. Die große Frage sei aber, was im Herbst folgt.
"Was passiert im Herbst, sollte es tatsächlich zum Embargo kommen oder Russland den Gashahn zudrehen? Vor allen Dingen: Was passiert dann mit den Preisen für uns Privatverbraucher?"
Robert Habeck sagt, Deutschland sei vorbereitet. Nicolas Lieven widerspricht: Die Bundesrepublik sei gerade dabei, sich vorzubereiten.
Wo lässt sich Gas einsparen?
Die Bundesnetzagentur führt zurzeit eine große Umfrage durch, um zu ermitteln, wo sich am meisten Gas einsparen lässt. Befragt wurden zuerst die Netzbetreiber, in den kommenden Wochen sind dann zweieinhalbtausend Unternehmen in Deutschland an der Reihe, die am meisten Gas verbrauchen.
- Gibt es vielleicht noch alternative Energiequellen, die ein Unternehmen im Augenblick noch gar nicht nutzt?
- Wo muss die Energieversorgung intakt bleiben, damit die Anlagen nicht zerstört werden? (Beispiel: Die Glasindustrie lässt sich nicht einfach auf Null fahren, weil die Anlage sonst kaputtgeht.)
- Ab welchem Gaspreis lohnt sich die Produktion nicht mehr?
Parallel dazu werden in Deutschland die Gasspeicher aufgefüllt, die vor einigen Wochen nur zu rund 25 Prozent im Schnitt gefüllt waren. Inzwischen sind sie auf 33 Prozent aufgefüllt, sagt Nicolas Lieven. Das alles sei aber eben noch in der Vorbereitung und noch lange nicht am Ende.
"Zu 33 Prozent gefüllte Gasspeicher sind echt schön, aber wir brauchen so 80 bis 90 Prozent. Das ist eigentlich das Ziel, damit wir dann so drei, vier, fünf Monate durchhalten können."
Um etwa fünf Monate durchhalten zu können, bräuchten wir zu 80 bis 90 Prozent gefüllte Gasspeicher.
Was zudem viele nicht beachten würden: Die russischen Konzerne haben immer noch großen Einfluss auf die Speicher. Beispiel: Der größte Gasspeicher Europas steht in Rehden in Niedersachsen. Über diesen hat zwar inzwischen die Bundesnetzagentur die Kontrolle von Gazprom Germania übernommen.
Nur russische Gazprom-Tochter darf größten Gasspeicher Europas füllen
Bloß habe man gedacht, die Bundesnetzagentur könne den Speicher auch füllen. Dem ist aber nicht so. Nicolas Lieven hat nachgefragt – die Antwort der Bundesnetzagentur: Wir dürfen den Speicher zwar benutzen, wenn er voll ist – aber wir dürfen ihn nicht füllen. Das darf wiederum nur eine russische Gazprom-Tochter. Das ist ein Riesenproblem, warnt der Journalist.
Im Ernstfall stehen irgendwann bestimmte Anlagen still, sagt Nicolas Lieven. Laut dem "Notfallplan Gas" des Bundeswirtschaftsministeriums befinden wir uns gerade in der ersten Stufe, der Frühwarnstufe. Danach kommt Stufe zwei, die Alarmstufe. Und erst, wenn die Bundesregierung Stufe drei verhängt – die Notfallstufe – entscheidet die Bundesnetzagentur, wer noch mit Gas beliefert wird.
Der "Notfallplan Gas"
Der Notfallplan legt genau die Kriterien fest, wer dann noch Gas geliefert bekommt. Privathaushalte sowie Krankenhäuser, Altenpflegeheime, Polizei oder Feuerwehr sind geschützt und werden auf jeden fall beliefert.
Für Industriebetriebe wird dann abgewogen und dazu dient auch derzeitige Umfrage. Beispiel: Handelt es sich um kritische Infrastruktur? Oder: Werden Medizinprodukte hergestellt, die zwingend gebraucht werden?