Notre-Dame hat gebrannt. Manche empfinden das als Tragödie. Andere verstehen den Wirbel nicht. Warum die Bilder der brennenden Kathedrale in Paris solche Gefühle in uns auslösen – oder eben nicht.

Am Montag (15. April 2019) kam gegen Abend die Meldung: Notre-Dame brennt. Die Bilder und Videos waren beeindruckend, schienen fast apokalyptisch: Mitten in Paris schlugen Flammen aus der berühmten Kathedrale. Nun ist der Brand gelöscht, aber das Entsetzen scheint groß – nicht nur in Frankreich: Beileidsbekundungen aus aller Welt. Der Präsident der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, verkündete gar "ganz Europa sei verletzt".

Unsere Reporterin Rebekka hat Kunstgeschichte studiert und ist Deutsch-Französin – trotzdem fühlt sie sich noch lange nicht so betroffen wie andere. Im Gegenteil: Deren Anteilnahme beschäftigt sie. Irgendwas muss da sein, was die Menschen packt.

Es geht um mehr, als ein historisches Gebäude

Martin Booms ist Direktor der Akademie für Sozialethik und Kultur in Bonn. Er sagt: Der Brand der Kathedrale ist eigentlich keine Menschheitstragödie. Es muss also um mehr gehen, als um ein historisches Gebäude, oder ein Denkmal. Es ist ein Stück Kultur, das da verbrennt.

"Es ist unsere Kultur, die da verbrennt. Es ist der Versuch etwas zu vergegenständlichen."

Kirchen und Kathedralen prägen unser Stadtbild, sie sind Ankerpunkte und stehen so für ein Stück Kultur. Das bestätigt auch Asuman Lätzer-Lasar. Sie ist Archäologin und beschäftigt sich mit der Bedeutung von religiösen Bauwerken in der Gesellschaft. Ihr Forschungsschwerpunkt ist Religion und Urbanität am Max Weber Kolleg in Erfurt.

"So ein Monument ist natürlich identitätsstiftend! Für jedermann. Und jede Frau."

Dabei steht die Religion selbst im Hintergrund: Chinesische Börsenmakler aus New York seien genauso bestürzt wie koptische Christen aus Ägypten oder islamische Kemalisten aus der Türkei, so Asuman Lätzer-Lasar. Sie alle verbinden ein Weltkulturerbe mit dem Bau. Das wurde ihnen genommen. Und das fühlt sich an, wie ein Angriff.

Monumentale Bauten wie Notre Dame konservieren altes Machtverständnis

Was wäre Köln ohne seinen Dom? New York ohne Freiheitsstatue? Oder Istanbul ohne die Blaue Moschee? Und trotzdem gibt es viele Menschen wie Rebekka, die noch immer kritisch auf die weltweite Anteilnahme schauen. Menschen, die der Brand von Notre-Dame eben nicht bewegt und traurig macht.

"In denen wird sozusagen eine althergebrachte Ordnung auch ein Machtverständnis konserviert."

Und das hat einen einfachen Grund für Rebekka: Monumentale Bauten wie Notre-Dame stehen auch für Machtverhältnisse und Eliten – für eine Ordnung, die nicht mehr zeitgemäß ist. Diese Symbolträger haben dem Wandel der Zeit widerstanden. Und manche Menschen macht es nicht besonders traurig, wenn solche Bauten dann doch verschwinden.

Ihr habt Anregungen, Wünsche, Themenideen? Dann schreibt uns an Info@deutschlandfunknova.de

Shownotes
(Fehlende) Anteilnahme nach Brand
Meine Dame, Deine Dame, Notre Dame
vom 16. April 2019
Moderatorin: 
Sonja Meschkat
Autorin: 
Rebekka Endler, Deutschlandfunk-Nova-Reporterin