Immer mehr Gewerbeimmobilien stehen leer. Von einer Gewerbekrise mit dramatischen Auswirkungen ist die Rede. Warum werden dann aber weiter so viele Gewerbeeinheiten gebaut? Und könnte man die, die leer stehen, nicht zu Wohnraum machen? Es ist kompliziert...

Von einer Krise der Gewerbeimmobilien zu sprechen, ist nicht übertrieben, sagt Wirtschaftsjournalist Nicolas Lieven. Viele Geschäftsleute würden gerade versuchen, sich zu verkleinern oder Immobilien unterzuvermieten. Es sei nicht nur ein Tal, das die Gewerbebranche durchschreiten muss, sondern es gebe deutlich sichtbare langfristige Trends:

  • Home Office wird auch nach Corona in vielen Branchen bleiben
  • Dem Einzelhandel bleiben die Kunden aus denn viele kaufen online
  • In der Gastronomie fehlt es an Umsatz

Laut einer Studie von Immobilienscout24 ist die Nachfrage nach Gewerbeimmobilien um 25 Prozent zurückgegangen, auch in den großen Metropolen.

Gewerbeimmobilien rentabler als Wohnungen

Trotzdem werden weiter Gewerbeimmobilien gebaut – denn sie sind nach wie vor attraktiv, weil sich damit mehr Geld verdienen lässt als mit Wohnimmobilien. Wenn man sie denn vermietet bekommt.

In Großstädten oder stadtnah, wo sich viele Tech-Firmen sammeln, lohnen sich die Gewerbe-Neubauten für die Bauherren immer noch, so Nicolas Lieven. Zudem sind viele der Projekte, die jetzt im Bau sind, bereits Jahre zuvor – also vor der Krise – geplant worden.

Das Baurecht macht eine Umnutzung kompliziert

Aus leerstehenden Gewerbeimmobilien neuen Wohnraum zu machen, ist zwar möglich, aber häufig auch ziemlich kompliziert.

"Es wäre total gut für die Menschen, die Wohnraum suchen. Übrigens auch ganz gut für die Investoren, weil leerstehende Läden sind - ganz klar - weniger wert als gut vermietete, sanierte Wohnungen. Aber wir sind halt in Deutschland und hier gilt das Baurecht."
Nicolas Lieven, Wirtschaftsjournalist

Nach dem deutschen Baurecht muss einer Immobilie eine Nutzung zugeschrieben werden – gewerblich oder Wohnraum. Diese Nutzung müsste dann geändert werden. Anschließend stünde die energetische Sanierung und der Umbau an: Ein Architekturbüro muss mit ins Boot und die Statik und Raumaufteilung prüfen und planen.

Außerdem gibt es Spezialfälle, zum Beispiel in Mehrfamilienhäusern, die im Erdgeschoss ein Geschäft haben. In solchen Fällen müsste womöglich die Eigentümergemeinschaft zustimmen. Im Einzelfall gehen solche Prozesse schnell – in der Regel dauern sie aber mehrere Monate bis mehrere Jahre.

Potenzial riesig, Prozesse langwierig

Dabei ist das Potenzial riesig: Die Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen (ein Verein, der sich für bezahlbaren Wohnraum einsetzt) geht davon aus, dass man bis 2025 durch den Umbau von Gewerbeimmobilien rund 235.000 Wohnungen schaffen könnte. Längerfristig könnten es sogar 1,9 Millionen sein.

Um die Bauprozesse zu beschleunigen, ist die Politik gefordert. Und ein bisschen was tut sich bereits:

  • In Köln zum Beispiel gibt es mittlerweile ein vereinfachtes Genehmigungsverfahren
  • In Stuttgart gibt es 20 Prozent Zuschuss für Projekte, bei denen Wohnraum aus Gewerbe entsteht
  • Frankfurt hat bereits seit der Finanzkrise 2007/2008 mit Büroleerstand zu kämpfen. Dort entstehen schon seit ein paar Jahren viele Wohnungen aus Gewerbeflächen
"In Frankfurt entstehen schon seit ein paar Jahren über 1000 Wohnungen pro Jahr aus Gewerbeflächen."
Sebastian Sonntag, Deutschlandfunk Nova

Doch nicht immer kann Gewerbe- in Wohnraum umgewandelt werden: Wenn zum Beispiel eine Beeinträchtigung für die neuen Anwohner*innen zu befürchten ist – etwa durch das noch existierende Gewerbe, durch Lärm, Gerüche oder Ähnliches – dann wird die Stadt oder Gemeinde die Genehmigung nicht erteilen.

Shownotes
Gewerbekrise trifft Wohnungsnot
Warum aus leeren Büros nicht häufiger Wohnraum wird
vom 23. Mai 2023
Moderation: 
Diane Hielscher
Gesprächspartner: 
Sebastian Sonntag, Deutschlandfunk Nova